BGH-Urteil löst Nachfrage-Sturm zur Patientenverfügung aus

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Millionen von Patientenverfügungen schlummern in Datenbanken oder im Wohnzimmerschrank. Die meisten müssen nach einem BGH-Urteil präziser formuliert werden. Vermerke wie „bei schweren Hirnverletzungen Geräte abschalten“ reicht nicht. Fachberater wissen, wie es geht.

Viele Menschen sind nach der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) zu Patientenverfügungen verunsichert. Sie wissen nicht, ob ihre schriftlich niedergelegte Willenserklärung ausreicht. Der BGH hält eine Patientenverfügung für Ärzte und Angehörige nur für bindend, wenn sie ausreichend konkret formuliert ist. Schätzungen zufolge besitzt etwa jeder dritte Erwachsene eine Verfügung. Sie sind vermutlich in den meisten Fällen zu ungenau. Bei den Fachberatern der Deutschen Stiftung Patientenschutz stehen seit dem Urteil die Telefone nicht still.

Was genau hat die Unsicherheit ausgelöst?

Der BGH hat in einem Streit um lebensverlängernde Maßnahmen bei einer älteren Frau die Ansprüche an die Dokumente hochgeschraubt. Sie hatte nach Auffassung der Richter in ihrer Verfügung nicht klar genug ausgedrückt, was im Falle eines schweren Gehirnschadens mit ihr passieren soll und sich nur allgemein gegen „lebensverlängernde Maßnahmen“ ausgesprochen. Daraus ließ sich laut BGH kein Sterbewunsch ableiten. Die Kinder der Patientin waren sich zudem uneins.

Wofür brauche ich überhaupt eine Patientenverfügung?

Eine Verfügung kommt zum Einsatz, wenn ich nicht mehr selbst entscheiden kann und eine Diagnose der Ärzte vorliegt. Im Mittelpunkt stehen Behandlungsanweisungen für konkrete Krankheitssituationen. Sie richten sich an die Ärzte und auch an Vertrauenspersonen, sogenannte Vorsorgebevollmächtigte, die der Verfasser bestimmen kann.

Und diese Verfügungen reichen nach dem Urteil nicht mehr aus?

Von den geschätzten Millionen von Schriftstücken dürften viele nicht ausreichend formuliert sein. Meist wurden nur Kreuze und kurze Kommentare auf Vordrucken gemacht, die zu allgemein gehalten sind.

Wie genau müssen Verfügungen sein?

Die Krankheitssituationen, zu denen man keine oder nur eine zeitlich begrenzte Behandlung wünscht, müssen genau beschrieben sein.

Um welche Behandlungsformen geht es?

Es geht um künstliche Beatmung, Herz-Kreislauf-Stabilisierung, Dialyse, Reanimation, Bluttransfusion oder künstliche Ernährung.

Wie würde das im Fall eines Hirnschadens aussehen?

Es gibt verschiedene Ursachen und Zustände. Falle ich durch Sauerstoffmangel im Gehirn oder aber durch einen Unfall in ein Wachkoma, ergeben sich dadurch voraussichtlich unterschiedliche Krankheitsverläufe. Bei einer Hirnverletzung ist die Rückbildung der Symptome nach sechs bis zwölf Monaten ohne Reaktionsverbesserung wenig wahrscheinlich. Bei Sauerstoffmangel sind die Aussichten schon nach drei bis vier Monaten schlecht. In der Verfügung kann ich angeben, wie lange eine künstliche Beatmung oder Ernährung in einem bestimmten Fall dauern soll oder ob sie überhaupt zur Anwendung kommt.

Welche anderen Situationen sollten aufgenommen werden?

Es geht um Organversagen oder Demenz. Beim schleichenden Verlust der geistigen Fähigkeiten oder des Erinnerungsvermögens steht das späte Demenzstadium im Mittelpunkt. Eine selbstständige Lebensführung ist nicht mehr möglich. Es kann so weit kommen, dass künstlich ernährt werden muss. Für diesen Fall kann der Mensch den Verzicht auf diese Maßnahme festlegen. Er kann auch verfügen, dass Nebenerkrankungen wie eine Lungenentzündung oder Krebs nicht behandelt werden.

Was bedeutet Organversagen?

Es geht um den Ausfall lebenswichtiger Organe wie Herz, Lunge, Leber oder Nieren. Ohne Intensivmaßnahmen stirbt der Patient. Er kann verfügen, dass bestimmte Maßnahmen nach Feststehen der Diagnose eingestellt werden. Beim Nierenversagen wäre das die Dialyse.

Wer erklärt mir solche medizinischen Umstände?

Im günstigen Fall machen das geschulte Berater, heißt es bei der Stiftung Patientenschutz. Sie erstellt jährlich etwa 3000 Verfügungen nach Gesprächen mit Mitgliedern und führt ein bundesweites Register.

Was passiert ohne eine Patientenverfügung?

Die Ärzte versuchen mit allen Mitteln, den Patienten am Leben zu erhalten. Ist der Mensch hirntot, können sie zu dem Schluss kommen, dass ein Abschalten der Apparate sinnvoll ist. Hat der Patient auch keine Vorsorgebevollmächtigten, die seine Interessen vertreten, wird von Amts wegen ein Betreuer bestellt, der mitbestimmen kann.

Schließen sich Patientenverfügung und Organspendeausweis aus?

Nein. Wenn ich im Todesfall Organe spenden will, muss ich aber einwilligen, dass bestimmte Verfügungen, zum Beispiel zum Geräteeinsatz, vorübergehend außer Kraft gesetzt werden.

Von Wolfgang Wahlmann (dpa)