„Bei Demenz verliert man die Kontrolle“

Vor Demenz kann man sich nicht schützen und heilbar ist sie auch nicht. Die Furcht vor der Erkrankung ist daher besonders groß. Dabei spielen auch die Medien eine Rolle. Psychologin und Demenzforscherin Isabella Heuser erklärt im Interview, warum gerade Demenz die Bundesbürger so ängstigt und wie berechtigt das ist.

Antonia Lange (dpa): Jeder zweite Deutsche hat Angst vor Demenz. Wie verbreitet ist die Erkrankung?
Isabella Heuser: Die Diagnose Demenz hat zugenommen. Inzwischen sind bundesweit fast 1,5 Millionen Menschen daran erkrankt. Das hat zwei Gründe: Die Menschen werden inzwischen wesentlich älter und die Krankheit wird natürlich früher diagnostiziert. Man sagt heute nicht mehr einfach: Die Oma ist senil.

Isabella Heuser © dpaIsabella Heuser © dpa

Zur Person

Isabella Heuser ist Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité. Das Thema Demenz ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte. Sie ist unter anderem Vorstandsmitglied vom Kompetenznetz Demenzen.

Warum ist ausgerechnet die Angst vor Demenz so groß?
Der Mensch will immer in Kontrolle sein und die Gründe für etwas verstehen. Bei einer Demenz hat man aber immer weniger die Kontrolle. Ich verliere mein Ich – das ist die Sorge. Man hat das Gefühl, die eigene Persönlichkeit verändert sich. Man wird innerlich leer. Man kann nichts mehr kontrollieren und regeln. Das ist etwa bei Krebs anders.

Welche Rolle spielt es, dass es keine Heilungschance gibt?
Man kann die Demenz nicht besiegen. Es gibt zwar Hoffnung, dass man sie für kurze Zeit mit Medikamenten in einem erträglichen Zustand halten kann. Aber letztlich weiß jeder: Es geht bergab.

Informationen helfen gegen die Angst

Kann man eine Erkrankung verhindern?
Ein gesunder Lebensstil – nicht rauchen, wenig Alkohol, regelmäßige Bewegung – hilft. Es wird sich dadurch aber letztlich nicht verhindern lassen.

Welche Rolle spielen die Medien?
Die Angst ist auch deshalb so ausgeprägt, weil wir Demenz mittlerweile durch die Medien und die allgemeine Aufklärung kennen. Prominente Erkrankte wie Gerd Müller oder Rudi Assauer gehen damit an die Öffentlichkeit. Man sieht, dass man mit Demenz immer weniger in Kontrolle ist. Prinzipiell gilt aber: Information ist immer Angst reduzierend. Ich finde es daher auch gut, wenn etwa Filme die Erkrankung zum Thema haben.

Interview: Antonia Lange (dpa)

 

Information

Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz

In Deutschland haben etwa 1,5 Millionen Menschen Alzheimer oder eine andere Demenzerkrankung. Unter Demenz werden verschiedene Leiden zusammengefasst, bei denen die geistige Leistungsfähigkeit sehr stark zurückgeht. Die weitaus meisten Betroffenen haben Alzheimer.

  • Symptome: Bei Alzheimer sterben Hirnzellen ab. Das Gedächtnis geht verloren, das Wesen wird verändert. Im fortgeschrittenen Stadium weiß ein Patient nicht mehr, wo er sich befindet und wer er ist. Viele Erkrankte erkennen ihre Angehörigen nicht mehr, manche werden aggressiv. Oft ist eine Beaufsichtigung rund um die Uhr nötig.
  • Ursache: Es ist unklar, was genau im Gehirn passiert. Eiweißfragmente (Amyloid-Peptide) lagern sich im Hirn ab. Die Zellen schaffen es nicht, diese Plaques loszuwerden. Sie stören die Reizübertragung zwischen Hirnzellen, diese werden funktionsuntüchtig und sterben ab.
  • Therapie: Es gibt weder eine vorbeugende Impfung noch ein Heilmittel gegen Alzheimer. Medikamente haben einen nur geringen Effekt; sie können die Beschwerden allenfalls hinauszögern oder etwas lindern. Auch kognitives Training oder etwa Musiktherapie werden angewandt.
  • Alter: Das Risiko, an Demenz wie Alzheimer zu erkranken, steigt mit dem Alter. Nur sehr wenige Menschen sind vor dem 65. Lebensjahr betroffen. Von den 85- bis 89-Jährigen leidet nach Auskunft der Deutschen Alzheimer Gesellschaft jeder Vierte an Demenz. In der Gruppe ab 90 Jahren sind es demnach bereits etwa 40 Prozent. Viel mehr Frauen als Männer seien betroffen. Der Hauptgrund: Frauen werden im Durchschnitt älter als Männer.
  • Anstieg: Nach dem Welt-Alzheimer-Bericht 2015 wird sich die Zahl der Betroffenen global bis zum Jahr 2050 fast verdreifachen. Schon heute erkranke daran alle 3,2 Sekunden irgendwo auf der Erde ein Mensch, so der Bericht der Organisation Alzheimer Disease International (ADI). Derzeit sollen weltweit etwa 47 Millionen Menschen betroffen sein.