Die Umstellung des Pflegesystems hatte einen jahrelangen Vorlauf. Jetzt wirkt die Reform spürbar. Doch bleibt der Fortschritt begrenzt: Die Probleme in der Pflege sind bei weitem nicht gelöst.
Zehntausendfach profitieren Pflegebedürftige von der jüngsten Reform. Die Krankenkassen erwarten, dass sich ganz neue Pflegeangebote etablieren. Pflegenotstand herrscht vielfach aber weiter. Die Pflege heute im Überblick:
Was hat sich seit Jahresbeginn geändert?
Statt in drei Pflegestufen werden die Bedürftigen in fünf Pflegegrade eingeteilt. Neu oder zumindest deutlich besser berücksichtigt werden Beeinträchtigungen der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit und des Erinnerns etwa bei Demenz. Auch wer aus der häuslichen Umgebung oft wegläuft, Arztbesuche nicht gut absolvieren oder sonst den Alltag nicht gut bewältigen kann, bekommt leichter Leistungen. Bisher spielten körperliche Beeinträchtigungen die dominierende Rolle – gemessen wurde exakt die Dauer der benötigen Unterstützung. Mit der „Minutenzählerei“ ist laut den Krankenkassen nun Schluss.
Welche Rolle hat die Reform in der Geschichte der Pflegeversicherung?
Es ist die grundsätzlichste Neuerung seit dem Start der Versicherung 1995. Schon 2006 wurde unter der damaligen Ministerin Ulla Schmidt (SPD) dafür ein Expertenbeirat eingesetzt. Ein 2009 vorgelegter Bericht blieb folgenlos. Auf Bitten des späteren FDP-Ministers Daniel Bahr arbeitete der 37-köpfige Beirat, neu zusammengesetzt, ab 2012 rund 15 Monate lang an einem neuen Bericht. Auch aufgrund dieser Vorarbeiten konnte der aktuelle Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die Reform nun auf den Weg bringen.
Werden Pflegebedürftige durch das neue System schlechter gestellt?
Nein. Es gilt Bestandsschutz. Die bisherigen Pflegestufen wurden in die neuen Grade überführt. Alle, die schon im vergangenen Jahr Pflegeleistungen bekommen haben, wurden von ihrer Kasse automatisch von ihrer Pflegestufe in den jeweiligen Pflegegrad überführt. Die meisten Versicherten bekommen seit dem 1. Januar bessere Leistungen.
Wie viele Menschen bekommen zusätzlich Leistungen?
Im ersten Quartal waren es 80.000 Menschen, die neu etwas von der Pflegekasse bekommen und sonst leer ausgegangen wären. Davon sind gut 43.000 in Pflegegrad 1: Diese Versicherten bekommen unter anderem Beratung in ihrem Zuhause, Pflegehilfsmittel oder Zuschüsse zur Verbesserung des Wohnumfelds. Für 2017 rechnet der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit rund 200.000 zusätzlichen Personen. Mittelfristig sollen es laut Gesundheitsministerium 500.000 sein. Weil auch Vorlesen, Hilfe beim Treppensteigen und vieles andere neu gewährt wird, rechnet der MDK mit neuen Angeboten. „Wir glauben, dass ganz andere Märkte entstehen werden“, sagt der Geschäftsführer des MDK Bayern, Reiner Kasperbauer. Insgesamt reichen die Leistungen bis zu 2005 Euro monatlich für vollstationäre Pflege bei Grad fünf.
Sind die Probleme in der Pflege nun gelöst?
Nein. NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) spricht von nicht erfüllten Versprechungen. So müsse medizinische Behandlungspflege im Heim auf Arzt-Verordnung bei Pflegebedürftigen wie bei allen Versicherten voll aus der Kranken- statt aus der Pflegeversicherung übernommen werden. Der hier stark gestiegene Bedarf sei „der wesentliche Grund für die Überlastung des Pflegepersonals in unseren Pflegeheimen“. Die Linke-Fraktionsvize Sabine Zimmermann sagt: „Die Pflegegesetze wirken erst dann, wenn mehr Menschen mit anerkanntem Pflegebedarf auch bedarfsgerecht in hoher Qualität versorgt werden.“ Deshalb müsse die tarifliche Entlohnung in der Altenpflege allgemeinverbindlich werden.
Gehen auch die Krankenkassen von einem Pflegenotstand aus?
Ja. MDK-Geschäftsführer Peter Pick sagt, dieser Missstand, also der Mangel an Pflegern, werde durch bessere Leistungen nicht beseitigt. In nächster Zeit müsse endlich der Umstand behoben werden, dass manche Bundesländer Pflegekräfte schlechter bezahlten, fordert er.
Von Basil Wegener (dpa)