Ein Trend aus Japan: Waldbaden gegen Burn-out

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Wellness unter Bäumen: Immer mehr Hotels und Reiseveranstalter schicken ihre Gäste zum Baden in den Wald − nass werden die Gäste dabei nicht. Der Trend kommt aus Japan. Was ist dran?

Professor Iwao Uehara schickt seine Patienten in den Wald. Der Forstwissenschaftler von der Universität Tokio lässt Menschen mit Burn-out zum Beispiel gefällte Bäume schleppen und nur das essen und trinken, was der Wald so hergibt. Was in Japan seit den 80er Jahren eine anerkannte Heilmethode ist, wird mittlerweile in abgeschwächter Form auch in Europa praktiziert: Shinrin Yoku, zu Deutsch: baden in der Waldatmosphäre. Oder einfach Waldbaden.

Hierzulande geht es dabei mehr um eine entschleunigende Freizeiterholung. Das Walderlebnis soll als Form des Wellness-Urlaubs die Batterien wieder aufladen. „Dr. Wald“ als Therapeut für reizüberflutete Multitasker der Moderne?

Morgens geht es zum „Atemwandern“

Christine Müller ist so etwas wie die deutsche Pionierin der Waldwellness. Die ärztliche Leiterin des Hotels „Das Kranzbach“ bei Garmisch-Partenkirchen spaziert mit Gästen über die weichen Buckelwiesen in den Wald auf eine Yogaplattform und macht dort mit ihnen Atemübungen. Für sie ist Waldbaden der fließende Übergang von Wellness zur Reha: „Der Wald ist ein Erlebnisraum, in dem man wunderbar zu sich selbst zurückfindet“, sagt Müller.

Tatsächlich gibt es in vielen Regionen Deutschlands und im Alpenraum zahlreiche Waldbaden-Angebote und vergleichbare Wellness-Aktivitäten. Der Wald spielt etwa in der Niedersächsischen Landesgartenschau 2018 eine Rolle: Bad Iburg hat lokale Führer geschult, damit sie im Waldkurpark in der Nähe des neuen Baumwipfelpfades eine Sinnesreise moderieren. Im Westerwald und am Klimapfad in Oberstaufen kann man sich beim Waldbaden in eine Hängematte legen. Thüringen hat ein „WaldResort“ am Nationalpark Hainich samt Expeditionen.

In Österreich entstresst Uli Felber aus Graz Gäste verschiedener Hotels bei vierstündigen Workshops im Wald. In Flims in der Schweiz führt Waldbaden an einen Wasserfall und in Bettmeralp an den Aletschgletscher. Erholung im Wald ist ein Trend.

Südtirol verknüpft bodenständige Regionalität mit traditionellen regionalen Heilmitteln. So führt die Hotelchefin und Kräuterpädagogin des „Hotels Gitschberg“, Barbara Peintner, in Meransen ihre Gäste morgens zum „Atemwandern“ in den angrenzenden Wald. In Natz-Schabs geht der Fitnesstrainer des „Seehof Nature Retreat“ barfuß mit den Gästen von der Wiese durch den Wald. Danach stehen in Gitschberg der Spa und die Heu-Lounge sowie in Natz-Schabs der Picknickkorb für den Wald oder die Sauna an Wald und See bereit.

In Österreich hat das „Forsthofgut“ in Leogang den Wald sogar mit Moosen, kleinen Bäumen und Reisig in seinen großen „Waldspa“ gebracht. Mit Blick auf Berge und Wald. Yoga und Massagen gibt es im Sommer auf einer Waldplattform im Wildgehege.

Bäume werden nicht umarmt

Es finden sich auch aktive Waldabenteuer ohne Hotel und Veranstalter, ursprünglich und eher aktiv als kontemplativ. Im Unesco-Welterbe im Harz kann man in einigen Teichen der Oberharzer Wasserwirtschaft mitten im Wald im Wortsinne baden. Im Unesco-Geopark Muskauer Faltenbogen führt eine Märchenwaldwanderung durch die Wälder im Neißetal. Im Elbsandsteingebirge stellt Sachsenforst einige Hütten ohne Strom und Trinkwasser, aber mit Komposttoiletten zur Verfügung.

Alles nur Esoterik? „Es geht nicht darum, einen Baum zu umarmen“, sagt Martin Kiem. Der Südtiroler Psychologe und Wellbeing Coach geht mit Gästen im Meraner Land in den Bergwald. Langsam laufen, sitzen, an einen Baum lehnen, erinnern, träumen und die grüne Atmosphäre mit allen Sinnen aufnehmen – das bringe den Geist zur Ruhe. Um das Gesundheitspotenzial des Waldes für sich zu nutzen, brauche es kein organisiertes Waldbaden oder naturmystische Einstellungen, findet Kiem. „Tief atmen und bewusst da sein, das reicht schon.”

Es gibt aber auch in Deutschland medizinische Ansätze: Karin Kraft ist Stiftungsprofessorin für Naturheilkunde der Universitätsmedizin Rostock und begleitet den ersten europäischen Kur- und Heilwald in Heringsdorf auf Usedom wissenschaftlich. Dort turnen Asthma- und COPD-Patienten in der gesunden Küstenwaldluft an einfachen Geräten. Dass ihnen moderate Bewegung und tiefes Durchatmen im Heilwald guttun, davon ist Kraft überzeugt. Waldluft ist staubarm, enthält kaum Reizgase und ist angereichert mit flüchtigen Verbindungen aus Bäumen, Moosen, Flechten und Pilzen, aber auch mit Mikroorganismen und Sporen. Diese Mischung gilt als gesundheitsfördernd.

Anstrengung im Wald gefällt auch Josef Hartl, Professor an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg. Seinen Forschungen zufolge profitiert man gesundheitlich am meisten vom Naturerlebnis, wenn man sich dabei aktiv bewegt. „Sport im Grünen wird als weniger anstrengend empfunden und hat bessere Gesundheitseffekte als Indoor-Sport“, erklärt Hartl. Fitness durch Wandern und Sport im Wald, das ist die Devise.

Die zahlreichen Waldbaden-Angebote gleichen jedoch eher Sinnesreisen, mit Achtsamkeit statt Action. Nach Ansicht von Hartl ist es wichtig, Wellness-Angebote mit Heilmitteln der Natur wissenschaftlich zu fundieren, um sie vom Wildwuchs esoterischer Angebote abzugrenzen. Wer skeptisch ist, kann mit einem Wanderurlaub im Wald anfangen.

Von Karin Willen (dpa)