Freie Arztwahl oder doch lieber Patientensteuerung? 

© picture alliance/Klaus Rose

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Seit langem wird beklagt, dass Patienten für eine Erkrankung mehrere Ärzte aufsuchen. Die Praxisgebühr hat auch keine Steuerungswirkung entfaltet. Nun wollen die Vertrags-Ärzte einen neuen Anlauf nehmen – und erwarten Unterstützung von der Politik.

Der deutsche Patient geht im Schnitt pro Jahr 17 Mal zum Arzt. Das sind sehr viele Arztbesuche. Die Schweden zum Beispiel gehen weniger als drei Mal im Jahr zum Arzt. Vielleicht gibt es ja auch hier einen „dritten Weg“. Die Nachfrage nach medizinischen, pflegerischen und anderen Leistungen wird jedenfalls allein schon wegen der älter werdenden Gesellschaft weiter steigen – und damit auch die Kosten.

Was könnte ein Grund für diese Unterschiede sein?

In Schweden sind die medizinischen Versorgungswege relativ strikt vorgegeben. Der Arzt-Besuch wird einem quasi zugewiesen. 72 Tage Wartezeit auf einen Facharzttermin sind keine Seltenheit, heißt es bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). In Deutschland gilt dagegen die freie Arztwahl. Das führt zu vielen Arztbesuchen. Es gilt also, einen Weg zu finden, der die freie Arztwahl weiterhin ermöglicht, aber durch bessere Steuerung zugleich die Zahl der Arztbesuche reduziert. Ein „bewussterer Umgang mit der Ressource ‚Arzt’“ sei notwendig, sagte KBV-Chef Andreas Gassen der dpa.

Wie könnte eine solche Steuerung aussehen?

Die KBV arbeitet derzeit an einem Konzept. Wichtig sei grundsätzlich ein zentraler Ansprechpartner, heißt es. Das könnte der Haus-, oder auch ein anderer Facharzt sein, den der Patient etwa wegen einer chronischen Krankheit regelmäßig besucht. Vorstellbar wäre also, dass ein Rheumatologe seinen Patienten bei anderen Beschwerden untersucht und dann zu einem weiteren Facharzt schickt – vom Herzspezialisten bis zum Orthopäden.

Für die Hausärzte kann dieser erste Ansprechpartner nur ein Hausarzt sein. Er sehe den Patienten in seiner Gesamtheit, nicht nur wie ein Spezialist für Gelenke, Herz oder Skelett. Behandlungsabläufe koordinieren oder verschiedene Diagnosen und Medikationen zusammenführen, seien daher originäre Aufgaben der Hausärzte, sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt. Ein hausärztliches Primärarztsystem werde bereits für vier Millionen Patienten umgesetzt. Es sollte jetzt flächendeckend kommen.

Der Chef der Techniker Krankenkasse Jens Baas sagte, Patienten sollten nicht bevormundet werden. Eine erfolgreiche Steuerung versprächen eher richtige Anreize und die Motivation der Menschen, sich um ihre Gesundheit zu kümmern.

Was könnten richtige Anreize sein?

Das können laut Baas „Bonusprogramme sein oder zum Beispiel auch Gesundheitscoaches, mit denen wir eine gezielte Unterstützung anbieten – für Gesunde und Kranke“. Im Prinzip argumentiert hier KBV-Chef Gassen ähnlich. Patienten, die über die Inanspruchnahme von Leistungen selbst entscheiden wollen, sollten dafür zusätzliche Beiträge zahlen. Patienten, die zuerst einen Primärarzt ansteuern, sollten mit Beitragsrückerstattungen belohnt werden.

Was sagen die Patienten?

Nach einer KBV-Befragung erachtet es mehr als die Hälfte (58 Prozent) als sinnvoll, vor dem Facharzt einen Hausarzt aufzusuchen. Wenn damit gar eine spürbare Beitragssenkung verbunden wäre, würden insgesamt 80 Prozent der gesetzlich Versicherten dies akzeptieren. Nur 16 Prozent wären auch dann nicht bereit, einem solchen Hausarztmodell zu folgen.

Muss zwischen ambulant und stationär nachgesteuert werden?

Ja, meinen nicht nur die niedergelassenen Ärzte. Die TK, die größte gesetzliche Krankenkasse, findet das auch. 3,6 Millionen Krankenhauseinweisungen pro Jahr könnten ambulant bei einem Vertrags-Arzt kostengünstiger behandelt werden, heißt es bei der KBV. Allerdings kennt den ambulanten Notruf 116 kaum jemand. Die Notfallversorgung im Krankenhaus ist da besser aufgestellt.

Sogenannte Portalpraxen an Krankenhäusern könnten hier eine bessere Steuerung bringen. Sie sollten außerhalb ärztlicher Öffnungszeiten, an Wochenenden oder Feiertagen als erste Anlaufstation entscheiden, ob ein Patient in der Praxis behandelt werden kann oder ins Krankenhaus muss. Hier ist eine bessere sektorenübergreifende Zusammenarbeit dringend nötig.

Von Ruppert Mayr (dpa)