Jeder zweite ältere Deutsche stirbt im Krankenhaus, obwohl 75 Prozent der Menschen den Tod daheim vorziehen würden. Diese Kluft zwischen Wirklichkeit und Vorsatz zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die am Montag in Gütersloh vorgestellt wird. Thema des „Faktenchecks Gesundheit” ist der Ausbau der Palliativversorgung in Deutschland. Besonders auffallend sind dabei regionale Unterschiede und Versorgungslücken speziell bei der ambulanten Behandlung. So fehlen in einem Viertel aller Kreise in Deutschland spezialisierte Palliativmediziner. Dagegen haben sich in Hessen mehr als doppelt so viele Ärzte zusätzlich palliativ qualifiziert wie in Thüringen.
Was macht die Palliativmedizin?
Im Vordergrund steht das Verhindern oder Verringern von Schmerzen und Depressionen. Palliativmedizin wird dann eingesetzt, wenn bei einer weit fortgeschrittenen Krankheit im Gegensatz zu einer sogenannten kurativen Behandlung keine Chance mehr auf Heilung besteht und die Lebenserwartung begrenzt ist. Es geht um die Verbesserung der Lebensqualität und nicht um die Verlängerung der Lebenszeit.
Was ist der Unterschied zwischen ambulant und stationär?
Immer mehr Krankenhäuser entdecken die Palliativ-Medizin als Geschäftsfeld für sich und betreiben eigene Stationen. Beim Gegenmodell bilden Hausärzte und Palliativmediziner zusammen mit anderen Experten wie zum Beispiel in Hospizen ein ambulantes Netzwerk. Dabei können die Patienten entweder Zuhause oder im gewünschten Umfeld wie in einem Hospiz bis zum Tod betreut werden. Die Experten der Bertelsmann-Stiftung fordern Behandlungen nach dem Grundsatz: „Ambulant vor stationär und allgemein vor spezialisiert“.
Warum gibt es zum Thema Palliativversorgung noch so viele Fragen und Unsicherheiten?
Die Palliativ-Medizin ist eine junge Fachrichtung. Erst seit 2004 wird sie an immer mehr medizinischen Fakultäten ein verpflichtendes Lehr- und Prüfungsfach. Einen Lehrplan gibt es seit 1997. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin hat sich 1994 gegründet. Seit 2007 ist im Sozialgesetzbuch (SGB) ein gesetzlicher Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung verankert.
Palliativmedizin wird dann eingesetzt, wenn bei einer weit fortgeschrittenen Krankheit keine Chance mehr auf Heilung besteht und die Lebenserwartung begrenzt ist. Dabei geht es um die Verbesserung der Lebensqualität und nicht um die Verlängerung der Lebenszeit.
In Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein arbeiten besonders viele ambulant arbeitende Palliativmediziner, die ihre Patienten zu Hause versorgen. Hier ist die Quote der Menschen, die im Krankenhaus sterben, entsprechend geringer. In Bundesländern mit stark ausgebauten stationären Angeboten sterben mehr Menschen in Kliniken als im Bundesschnitt.
Neue Angebote zur ambulanten Palliativversorgung gefordert
Experten der Bertelsmann-Stiftung fordern den Ausbau und die Weiterentwicklung der Palliativversorgung. „Wobei dabei gelten soll, ambulant vor stationär und allgemein vor spezialisiert”, sagt Projektmanager Eckhard Volbracht. Stiftungsvorstand Brigitte Mohn forderte: „Die Planung neuer Versorgungsangebote sollte sich an dem Wunsch der allermeisten Menschen ausrichten, ihre letzten Lebenstage zu Hause zu verbringen.” Der Ausbau der ambulanten Versorgung müsse deshalb Vorrang vor einem Ausbau stationärer Angebote haben.
Als vorbildlich gilt dabei ein Modell in Westfalen-Lippe, bei dem seit 2009 die Hausärzte die Palliativbetreuung koordinieren. Im vergangenen Jahr wurden rund 20 Prozent der Verstorbenen so betreut. Nur 8,7 Prozent dieser Palliativpatienten starben in einem Krankenhaus.
Oft wird zu spät palliativ versorgt
Laut Studie besteht bei den Patienten noch ein hoher Aufklärungsbedarf. „Fast 90 Prozent aller Menschen brauchen am Lebensende eine palliative Begleitung”, sagt Lukas Radbruch von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Im Jahr 2014 haben allerdings laut Studie nur 30 Prozent der Verstorbenen zu Lebzeiten eine entsprechende Behandlung bekommen. Auch erfolge die Behandlung häufig zu spät. „Es bringt nichts, wenn Patienten erst an den letzten zwei bis drei Lebenstagen palliativ behandelt werden”, sagt Volbracht.
Quelle: dpa