Klang der Wut

Die Autobiografie „Der Klang der Wut“ ist das erste Buch von James Rhodes. Der Konzertpianist wurde als Kind sexuell missbraucht. In dem Buch erzählt der 38-Jährige, wie er es durch die Musik geschafft hat, mit diesem Trauma zurechtzukommen.

© NAGEL & KIMCHE

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„Man erweist jemandem nicht dadurch Respekt, dass man zu ihm sagt: ‚Ich werde mir niemals vorstellen können, was Sie durchgemacht haben.’ Hören Sie sich lieber seine Geschichte an und versuchen Sie sich vorzustellen, Sie würden sie erleben (…)“ Mit diesem Zitat des US-amerikanischen Schriftstellers und ehemaligen Soldaten Phil Klay leitet der Konzertpianist James Rhodes seine Autobiografie ein.

In der „Der Klang der Wut“ geht es genau darum: Zuzuhören, auch wenn es schmerzhaft ist. James Rhodes wurde als Kind von seinem Boxtrainer Mr. Lee sexuell missbraucht, und das jahrelang. Weder seine Eltern noch die Lehrer wollen davon etwas bemerkt haben. In seiner Autobiografie erzählt der 38-jährige Brite, was eine Vergewaltigung in der Seele eines Kindes anrichtet, welch traumatische Spuren der Missbrauch hinterlassen hat und wie er es schaffte, auf „die andere Seite des Tunnels“ zu gelangen.

Unfähig, anderen Menschen zu vertrauen

Was im Detail vor 30 Jahren in dem abgeschlossenen Geräteraum der Sporthalle passierte, schildert Rhodes nicht. „Die einen könnten es lesen und als Materialsammlung für eigene Fantasien“ missbrauchen, sagt er, die anderen könnten ihn dafür verurteilen, dass er „damals (gelegentlich) einen Steifen bekam.“

Bis heute hat der Mann mit den Spätfolgen des Missbrauchs zu kämpfen: mit Scham, Angst, Narben (innen wie außen), Zwangsstörungen, Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, selbstverletzendem Verhalten, zahlreichen Aufenthalten in der Psychiatrie und der Unfähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen.

Die Lektüre des Buches ist keine einfache. Als Rhodes sich das erste Mal mit seiner Geschichte an eine auf sexuellen Missbrauch spezialisierte Therapeutin wendet, ist er bereits verheiratet, Vater und hat Angst um seinen Sohn. Der nähert sich dem Alter, in dem Rhodes’ Martyrium begann. Nachdem er seine Geschichte der Therapeutin offenbart hat, fragt diese: „Haben Sie es Ihrer Frau gesagt?“ Dann bricht es aus ihm heraus: „Natürlich nicht! Kacke, verdammte! Warum zum Teufel sollte ich das tun?“

Kaum eine Seite ohne Beschimpfungen

Rhodes ist wütend. Seine Wut richtet sich nicht nur gegen Lee, den „übergewichtigen, halb glatzköpfigen und viel zu bepelzten“ Boxlehrer. Sie richtet sich auch gegen sich selbst, weil er trotz aller Mühe, trotz aller Fortschritte immer wieder in seine Hölle aus Selbstmitleid und Selbsthass zurückgeworfen wird.

Die Sprache ist Rhodes’ Ventil. Er selbst nennt sich einen „selbstzerstörerischen Oberarsch.“ Und ergänzt: „Ich bin narzisstisch, manipulativ, gefühlskalt, mitleidheischend.“ Tatsächlich kommt kaum eine Seite im Buch ohne Beschimpfungen aus. „Scheiße“ und „Arschloch“ sind da noch harmlos.

Was James Rhodes letztlich gerettet hat, ist die Musik. Schon als Kind hat er das Klavierspiel geliebt, war jedoch nur mittelmäßig. Nach zahlreichen Klinikaufenthalten schafft er es jedoch – auch mit Hilfe engagierter Lehrer – System in sein Spielen zu bringen. Mit Ende 20 findet er einen Manager, der ihn fördert.

Keine Liebeserklärung

Das Klavierspiel zwingt den ewig Wütenden zur Disziplin. Schubert und Rachmaninow leisten ihm Gesellschaft, wo keiner ist, und Beethoven gibt ihm Energie, wenn er sich mal wieder leer und gebrochen fühlt. „Die Musik“, sagt Rhodes, „hielt mich am Leben.“

Doch Rhodes wäre nicht Rhodes, wenn er am Ende nicht noch mal kräftig um sich schlagen würde. So endet der „Der Klang der Wut“ nicht in einer Liebeserklärung an Ravels „Klaviertrio“ oder Chopins Etüde in C-Dur, sondern in einer bitterbösen Abrechnung mit der Musikindustrie, deren Akteure er für einen verachtungswürdigen, elitären Haufen hält. Aber das ist ein anderes Thema.

Das Buch „Der Klang der Wut. Wie die Musik mich am Leben hielt“ ist im Nagel & Kimche Verlag erschienen und kostet 22,90 Euro.