Eine US-Galerie stellt nur Künstler aus, die älter als 60 Jahre sind, und kämpft gegen Diskriminierung im Alter. Dabei ist nicht unüblich, dass Senioren auch im Rentenalter noch fleißig weiterarbeiten. Der technologische Wandel macht ihnen ihre Sache nicht immer leichter.
Chelsea ist das Herz der New Yorker Kunstwelt – eine Galerie reiht sich an die nächste: Fotografie, futuristische Tech-Installationen, quietschbunte Gemälde, außergewöhnliche Skulpturen oder detaillierte Bleistiftskizzen. Hier ist für jeden Kunstliebhaber etwas dabei, hier sind viele Künstler vertreten. Doch die Carter Burden Galerie hat ein besonderes Aufnahmekriterium: Nur Künstler, die älter als 60 Jahre sind, werden hier ausgestellt.
„Wir leben in einer sehr jugendorientierten Stadt“, sagt Direktorin und Kuratorin Marlena Vaccaro der Deutschen Presse-Agentur. „Händler und Galeristen suchen nach jungen Menschen, die kurz vor dem Durchbruch stehen. Doch was ist mit älteren Künstlern, die ihr Leben lang Werke produziert haben? Als Künstler hört man nicht auf zu arbeiten, sobald man die goldenen Jahre erreicht hat.“ Der älteste derzeit ausgestellte Künstler ist 93 Jahre alt, eine andere Künstlerin erreichte sogar stolze 100.
Frauen sind in der Kunst größeren Hürden ausgesetzt
In den USA ist es nicht ungewöhnlich, auch im Rentenalter zu arbeiten. Der offiziellen Arbeitsmarktstatistik zufolge gaben 2016 neun Millionen Amerikaner über 65 Jahre an, einen Vollzeit- oder Teilzeit-Job zu haben – Tenden
z steigend. Grund sind die längere Lebenserwartung und bessere Gesundheit, aber auch kleine Renten oder der Wunsch, Ersparnisse nicht angreifen zu müssen.
Die 71-jährige Künstlerin Carol Massa beschreibt das Berufsfeld als umkämpft und sieht sich als Frau noch größeren Hürden ausgesetzt. „Als ich 27 war, schaute sich der berühmte Kunsthändler Ivan Karp meine Werke an und sagte zu mir: ‚Ich mag deine Arbeit, aber sie wird schwer zu vermarkten sein, da du eine Frau bist.’“ Seitdem unterzeichnete Massa ihre Werke nur noch mit ihrem Nachnamen. „Das Berufsfeld ist schon hart genug“, sagt sie zum Kampf gegen jüngere und männliche Konkurrenz. „Doch es ist meine Leidenschaft, und wenn du etwas wirklich liebst, bleibst du am Ball, trotz aller Rückschläge.“
Die New Yorkerin fertigt abstrakt expressionistische Gemälde und Skulpturen an und liegt damit ganz im Trend der Galerie. Die 2009 gegründete Carter Burden Galerie gehört zum gemeinnützigen Carter Burden Center, das sich für Senioren engagiert. Insgesamt vertritt die Galerie etwa 170 professionelle Künstler.
Viel hat sich geändert, seit Massa als Künstlerin Fuß fasste. „Das Internet hat die Industrie auf den Kopf gestellt“, meint sie. „In den 60ern und 70ern liefen die Verkäufe noch über Anzeigen in Kunstmagazinen und Zeitungen. Wenn man heute nicht auf den Internet-Zug aufspringt, ist man sofort weg vom Fenster.“
Alle Werke müssen in den letzten drei Jahren entstanden sein
Wie die meisten der älteren Künstler ist Massa ohne Computer großgeworden und tut sich schwer, sich an die schnellen technologischen Veränderungen anzupassen. Deswegen besuchen Studenten von umliegenden Universitäten die Galerie regelmäßig und bringen den älteren Semestern bei, wie man Websites erstellt, Fotos im JPG-Format per E-Mail verschickt und soziale Medien nutzt.
„Meine Tochter in Los Angeles hat mir von der Galerie erzählt, das musste ich mir sofort anschauen“, sagt Besucherin Marilyn Allen, die in Begleitung in die Galerie spaziert ist. „Was für eine wundervolle Idee. Endlich haben auch ältere Menschen eine Plattform für ihre Arbeit und bekommen Aufmerksamkeit und den Respekt, der ihnen zusteht.“
Ein weiteres Kriterium lautet: Alle Werke müssen in den letzten drei Jahren entstanden sein. Direktorin Vaccaro organisierte schon mehr als 100 Solo- und 50 Gruppenausstellungen. Alle Stücke der derzeitigen Schau kosten erschwingliche 200 US-Dollar (170 Euro). Das bislang teuerste ausgestellte Werk kam auf 9000 Dollar (7650 Euro).
Einige Besucher dächten zunächst, Bilder aus Senioren-Malstunden würden hier gezeigt statt Gemälden von Profis, sagt Vaccaro. „Die Werke unserer Künstler sind genauso bedeutsam wie die eines 20- oder 30-Jährigen. Mit dem Alter kommt Lebenserfahrung, Weisheit, Stärke und Selbstbewusstsein, und all das spiegelt sich in diesen Werken wider“, sagt sie. „Nur weil man älter ist, ist man noch lange nicht irrelevant. Ganz im Gegenteil.“
Von Stephanie Ott (dpa)