Verseucht, rar, mit Vorurteilen besetzt – in Pakistan ist Blut noch ein mystischer Stoff. Das macht Blutspenden und Transfusionen problematisch, mitunter gefährlich. Nun will das Land mit deutscher Hilfe sein chaotisches System modernisieren.
Wer in Pakistan ins Krankenhaus geht und Blut braucht, muss einen Spender mitbringen. Ob Operation, Schnittwunde oder Geburt, Notfall oder Termin – ein Verwandter oder Freund muss ran. Ersatzspende nennt sich das. Dabei ist es egal, ob das gespendete Blut der Blutgruppe des Patienten entspricht. Der bekommt passendes, aber der Blutvorrat muss wieder aufgefüllt werden. Denn Pakistan hat zu wenig Blut. Und zu oft hat es das falsche.
„Jahrzehntelang sind deswegen in Pakistan Zehntausende Menschen gestorben“, sagt Blutexperte Hassan Abbas Zaheer vom größten Klinikum und Lehrkrankenhaus der Hauptstadt Islamabad. Er steht an der Spitze einer Gruppe, die das chaotische und gefährliche System von Blutspende und -transfusion in Pakistan revolutionieren will.
Viele Blutbanken haben keine Kühlschränke
„Große, zentral gelenkte Blutbanken wie in Deutschland gibt es hier nämlich nicht“, sagt Zaheer. „Stattdessen müssen Krankenhäuser und mitunter sogar Patienten Blut von Hunderten kleinen privaten Blutbanken kaufen.“ Das ziehe einen ganzen Rattenschwanz von Problemen nach sich. Zum Beispiel: Menschen, die regelmäßig Bluttransfusionen brauchen, könnten sich nicht darauf verlassen, dass ihre Klinik regelmäßig genug habe und seien auf der immerwährenden, nervenzermürbenden Jagd nach dem lebensrettenden Stoff.
Auch ungekühlte Blutkonserven sind ein Problem. Weil es bisher so gut wie keine Standards für die Blutströme im Land gab, haben einige Blutbanken keine Kühlschränke fürs Blut – in einem Land, in denen es monatelang über 40 Grad heiß ist. Andere haben keine Generatoren, um sie bei den täglichen Stromausfällen am Laufen zu halten. Wieder andere benutzen billige Tests, die zu unsensibel sind, um Krankheiten festzustellen. Resultat: Patienten bekommen mit Malaria, Syphilis oder Hepatitis verseuchtes Blut. Laut Ärzte ohne Grenzen hat Pakistan nach Ägypten mit bis zu fünf Prozent die zweithöchste Hepatitis-C-Rate der Welt. Pakistanische Medien warnten jahrelang, dass Blutbanken Blut billig von Drogenabhängigen einkauften.
Mithilfe der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat die pakistanische Regierung nun angefangen, das System zu modernisieren. Zunächst sollen 13 zentrale Blutbanken beginnen, die unprofessionellen Betreiber zu verdrängen. Neue Gesetze und Regulierungen werden eingeführt, „Blut-Inspektoren“ ausgebildet, die überprüfen sollen, ob sie eingehalten werden.
Ein „Nischenprojekt“
Die ersten zehn Blutbanken sind gerade fertig geworden. Jede kann sich um 50 000 Blutspenden pro Jahr kümmern. Zusammengenommen entspreche das etwa 15 Prozent des derzeitigen Blut-Aufkommens in Pakistan, sagt Hassan Zaheer. Den tatsächlichen Bedarf an Blut kenne wegen des bisherigen Chaos aber niemand so recht.
Gut 25 Millionen Euro kostet das Vorhaben. Ein „Nischenprojekt“, nennt es Wolfgang Möllers, der Direktor der KfW in Pakistan. Es sei keines der multinationalen Gesundheits-Megavorhaben, Deutschland finanziere es allein, und es sei nicht teuer verglichen mit anderen. Aber klappt es, könnte es das Leben von Zehntausenden Menschen retten.
Hassan Zaheer erwartet zum Beispiel eine „deutliche Verbesserung der Müttersterblichkeitsrate“, die mit rund 280 toten Müttern pro 100 000 Geburten eine der schlechtesten der Welt ist. Gerade in ländlichen Gegenden sterben viele Frauen bei Geburten unnötig an Blutungen, weil Kliniken nicht genug oder das falsche Blut vorrätig haben.
Die Mystik des Blutes
Insgesamt, so schätzt Hassan Zaheer, wird Pakistan mit seinen rund 180 Millionen Einwohnern allerdings mindestens 25 Blutzentren brauchen – zwölf mehr als derzeit geplant. Nach dem Ende der deutschen Beteiligung in drei Jahren soll Pakistan alleine weitermachen. Zaheer fürchtet die Bürokratie seines Landes.
Zum Problem könnte auch werden, eine Kultur der freiwilligen Blutspende zu etablieren. Hassan Zaheer ist da optimistisch. Pakistan ist ein terrorgeschütteltes Land. Mehr als 20 000 Zivilisten sind seit 2003 bei Anschlägen ums Leben gekommen, viele mehr sind verletzt worden. Zaheer sieht nach Anschlägen „in Kliniken Schlangen von Menschen, die einfach nur helfen wollen und Blut spenden.“
Eine pakistanische Wissenschaftlerin, Zubia Mumtaz, sieht allerdings noch etwas anderes. In einer Studie – „Die Bedeutung von Blut, Bluten und Blutspenden in Pakistan“ – hatte sie 2010 gewarnt, dass das westliche System anonymer Blutspenden nicht so gut ankommen könnte bei denen, die mit dem „fremden“ Blut leben sollen. Ihre Kernthese: Im Westen mag Blut zur „ent-mystifierten Substanz“ geworden sein – nicht aber in Pakistan. Da glaubten viele Menschen noch, dass Spender und Empfänger in einer Art Verwandtschaft verbunden würden. Mumtaz bezieht sich vor allem auf die ländlichen Gebiete.
Nach einem Bombenanschlag spielt der Aberglaube keine Rolle mehr
Bildungsmöglichkeiten sind dort noch immer rar, viele Millionen Menschen leben nach teils sehr konservativen Normen. Aberglaube ist weit verbreitet. Mumtaz erwähnt das Biradari-System, das Menschen Klans zuordnet. Menschen eines Klans würden auch als „aik khoon“ – eines Blutes – beschrieben. „Blutreinheit“ spiele eine große Rolle.
Diese Menschen hätten zum Beispiel die Sorge, dass mit dem Blut auch die Charaktereigenschaften oder Lebensweisen eines Menschen übertragen würden, zum Beispiel die – schlechte – Gewohnheit des Alkoholkonsums. Das Blut von Frauen würde teils als unrein empfunden. Manche dächten, dass Blutspenden Frauen weniger fruchtbar mache, weil die Fähigkeit, einen Sohn zu gebären, mit der Menge des Blutes in ihrem Körper zusammenhänge. Viele Menschen seien daher vorsichtig, wem sie Blut geben oder von wem sie es bekommen, meint Mumtaz.
Professor Zaheer ärgert sich über die Studie. Er hält sie für eine rein theoretische Diskussion. „Ich habe noch nie erlebt, dass Patienten Fragen stellen über das Blut, das sie bekommen.“ Verletzte nach einem Bombenanschlag wollten einfach nur überleben.
Von Christine-Felice Röhrs (dpa)