Patientensicherheit braucht mehr Kommunikation

© picture alliance/Bildagentur-online

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Jedes Jahr werden in Deutschland rund 250.000 Menschen aufgrund von Medikationsfehlern ins Krankenhaus eingewiesen – laut Bundesgesundheitsministerium wären diese Fälle vermeidbar. Was es hierfür braucht, ist vor allem mehr Kommunikation, so das Fazit einer bislang unveröffentlichten Studie.

Im Jahr 1995 diagnostizierten Ärzte bei der US-Amerikanerin Betsy Lehman Brustkrebs. Sie erhielt eine Chemotherapie mit Medikamenten, die das Zellwachstum hemmen, sogenannten Zytostatika. Allerdings in vierfach überhöhter Dosis. Die Journalistin starb und der Fall ging durch die Presse. Lehmans tragischer Tod war der Auslöser für den Bericht „To err is human“ (dt. „Irren ist menschlich“) der National Academy of Medicine (NAM). Er setzte das Thema Patientensicherheit nachhaltig auf die politische Agenda.

Nicht nur in den USA, auch in Deutschland treten bei der Behandlung mit Arzneimitteln zu viele Fehler auf. Etwa fünf Prozent aller Krankenhauseinweisungen lassen sich laut Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln zurückführen – gut ein Viertel davon wäre durch mehr Vorsicht und Aufklärung vermeidbar.

„Medikamenten-Fahrplan“ gegen Nebenwirkungen

Die Gründe für unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen sind vielfältig – und sie können überall passieren: im Krankenhaus, im Pflegeheim oder zu Hause. Ärzte verordnen das falsche Medikament, Pflegekräfte verabreichen es in einer zu hohen oder zu niedrigen Dosierung oder der Patient vertut sich zu Hause mit der Einnahme.

„Um solche Fehler zukünftig zu vermeiden“, sagt Professor Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), „ist es wichtig, dass alle Beteiligten stärker zusammenarbeiten.“ Gemeint sind damit vor allem Ärzte, Pflegekräfte und Pharmazeuten, aber auch die Patienten.

Hierbei soll auch ein neuer Medikationsplan helfen, eine Maßnahme des aktuellen vierten Aktionsplans zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) des Bundesgesundheitsministeriums. Ab Oktober 2016 haben demnach alle gesetzlich Versicherten, die mehr als drei verordnete Arzneimittel einnehmen, Anspruch auf einen persönlichen „Medikamenten-Fahrplan“. Dieser wird von ihrem Arzt oder Apotheker erstellt und er dokumentiert genau, wann und wie der Patient welches Medikament einnehmen muss.

Die Studienergebnisse sind Erfolg versprechend

„Das Problem ist“, sagt Ludwig, „dass es bislang keine repräsentativen Studien gibt, die den Erfolg einzelner Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit tatsächlich belegen.“ Das will Professorin Petra A. Thürmann, Direktorin des Philipp Klee-Instituts für Klinische Pharmakologie des Helios Klinikums Wuppertal und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, nun ändern.

Zusammen mit ihrem Team hat sie im Rahmen des Projekts „AMTS-Ampel“ („Arzneimitteltherapiesicherheit bei Patienten in Einrichtungen der Langzeitpflege“) mehr als 1000 Bewohner von fünf Alten- und Pflegeheimen über zwölf Monate begleitet und das Personal gezielt geschult. So wurde dem Pflegepersonal beispielsweise vermittelt, welche Symptome auf unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen hindeuten, und sich im Verdachtsfall an einen Apotheker zu wenden. Der überprüfte daraufhin die Medikation des Patienten und informierte gegebenenfalls einen Arzt.

Zu Beginn der Studie traten bei gut jedem zehnten Heimbewohner (12 Prozent) unerwünschte Nebenwirkungen auf. Nach sechs Monaten konnten Thürmann und ihr Team die Fehlerquote nahezu halbieren (6,9 Prozent). Die Ergebnisse der Studie wurden noch nicht publiziert, sollen aber demnächst auf der Website des Projekts vorgestellt werden.

Die Beteiligten müssen miteinander reden

„Genauso wichtig wie das Wissen in den Köpfen“, fasst Thürmann die Ergebnisse der Untersuchung zusammen, „ist, dass alle Beteiligten lernen, im Bedarfsfall angemessen miteinander zu kommunizieren und die Kompetenzen der anderen Professionen zu kennen und wertzuschätzen.“ Hierfür müssten Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen auch die nötigen Strukturen schaffen. So sollten etwa Arzt, Apotheker und Pflegekräfte sich darüber verständigen, ob sie lieber per Telefon, Fax oder E-Mail kontaktiert werden möchten, und gegebenenfalls feste Gesprächszeiten vereinbaren.

Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) untersucht in einer aktuellen Studie die Erfassung und Bewertung von Medikationsfehlern. Das Ziel: Handlungsempfehlungen entwickeln, aber auch eine offene Atmosphäre des Austausches zu etablieren, in der alle Beteiligten angstfrei über Fehler reden und aus ihnen lernen können.

Um auch die Patienten für das Thema Medikamentensicherheit zu sensibilisieren, haben Thürmann und ihr Team ein Video erstellt, in dem einfach und verständlich erklärt wird, auf was man bei der Einnahme von Arzneimitteln achten muss.