Wenn es um die Organisation des Soziallebens geht, herrscht bei vielen Paaren eine klare Aufgabenteilung: Freundschaften pflegen ist Sache der Frau. Das kann lange funktionieren – doch im Alter fatal werden. Stirbt die Partnerin, stehen viele Männer alleine da.
Sie: “Deine Cousine Gertrud hat heute Geburtstag. Sie freut sich, wenn du sie anrufst.” Er: “Mach du das mal. Und grüß sie von mir.” Die Geburtstage der Verwandtschaft im Blick behalten, Kontakte in der Nachbarschaft pflegen, Freunde einladen – täuscht der Eindruck, oder übernehmen das bei den meisten Paaren tatsächlich die Frauen?
“Doch, das ist schon so”, bestätigt die Psychologin Insa Fooken. Sie hat als Professorin an der Universität Siegen erforscht, wie sich Kommunikation und Sozialleben über die Lebensspanne entwickeln. Frauen seien aktiver, wenn es um die Pflege von Beziehungen geht. Und: Kontakte haben für sie eine andere Funktion. “Wenn Frauen nach ihren engsten Vertrauten gefragt werden, nennen sie ihre beste Freundin. Männer nennen ihre Ehefrau”, sagt Fooken.
Unterschiedlicher Umgang mit Freunden
“Die Netzwerke von Männern sind funktionaler”, erläutert Eckart Hammer, Professor für Soziale Gerontologie und Sozialmanagement an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg. Bringt der Kontakt Vorteile im Job? Kann er mir nützlich sein, wenn es darum geht, die richtigen Leute kennenzulernen? Sollte ich nicht mal diesen Nachbarn mit dem top ausgestatteten Werkzeugkeller ansprechen? Freundschaften unter Männern werden selten nur um der Freundschaft willen geschlossen und gepflegt. “Und sie gehen oft weniger in die Tiefe”, sagt Hammer.
Frauen dagegen seien oft mehr auf die Familie, die Partnerschaft und die Freundinnen fokussiert. “Und sie haben ein größeres Spektrum an Themen, auch bei beruflichen Kontakten”, beobachtet Axel Kreutzmann. Er ist psychologischer Psychotherapeut und war viele Jahre lang Leiter des Evangelischen Beratungszentrums in Hannover. Schon bei Kindern lasse sich ein unterschiedlicher Umgang mit Freundschaften feststellen. Der Grund: “Sie beobachten sehr früh, wie sich ihre Eltern verhalten, ob und wie sie Freunde treffen, welche Kontakte sie pflegen”, sagt Kreutzmann. Obwohl sich das Rollenverständnis von Männern und Frauen wandele, ändere sich daran bisher nur wenig.
Einsamkeitsrisiko von Männern ist größer
Viele Jahre kann die eingespielte Arbeitsteilung gut gehen. Doch dann kommt der Ruhestand, das berufliche Netzwerk fällt weg oder verliert zumindest an Bedeutung. “Viele Männer fallen dann in ein Loch. Was sie über viele Jahre gemacht haben, wird brüchig”, sagt Sozialwissenschaftler Hammer. Die alten Kontakte aus dem beruflichen Umfeld hätten meist keinen ausreichenden Tiefgang, gerade auch in Krisensituationen wie Krankheiten. Männer seien außerdem Meister der “Gelegenheitskommunikation”: Das kurze Gespräch mit den Kollegen im Aufzug oder die Plauderei mit den Kindern am Abendbrottisch. Ist das Berufsleben zu Ende, sind die Kinder ausgezogen, fehlen diese Situationen.
Solange die Frau weiterhin fürs soziale Leben sorgt – und den Mann dabei mitnimmt – fällt das womöglich gar nicht so sehr ins Gewicht. Geht die Beziehung auseinander oder stirbt die Partnerin, sieht das anders aus. Männer vereinsamten dann eher, sagt Axel Kreutzmann. “Viele suchen auch sehr schnell eine neue Partnerin.” Frauen kämen besser ohne Partner klar.
Das Einsamkeitsrisiko ist statistisch nachgewiesen. Obwohl im Alter deutlich mehr Frauen als Männer allein leben, fühlen sich beide Geschlechter ungefähr in gleichem Maße einsam, wie eine 2013 veröffentlichte Studie ergab. “Wenn die Senioren über ein intaktes Netz von Sozialkontakten verfügen, empfinden sie es nicht als Belastung, allein zu leben”, sagt Studienautor Prof. Karl-Heinz Ladwig von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar in München. Und dieses Netz knüpften Frauen offenbar deutlich dichter.
Das Ungleichgewicht im Sozialleben kann eine Partnerschaft belasten: Der Mann, der unzufrieden zu Hause im Sessel sitzt, aber auch keine Anstalten macht, an seiner Situation etwas zu ändern, wird eine unternehmungslustige Frau ziemlich nerven. “Ihm jetzt dauernd Zeitungsausschnitte über mögliche Aktivitäten neben die Kaffeetasse zu legen, wird aber wenig bringen”, glaubt Eckart Hammer. “Es gibt kein Rezept. Vielleicht muss erst ein gewisser Leidensdruck entstehen.”
Die Bedeutung von Beziehungen erschließe sich vielen Männern im Ruhestand neu, sagt Psychologin Insa Fooken. Und es gebe ja durchaus Möglichkeiten, das Adressbuch mit neuen Kontakten zu füllen. Viele Männer suchten sich zum Beispiel ein Ehrenamt. Der Rahmen der Institution erleichtere den ersten Schritt. “Viele Männer erleben es auch als sehr beglückend, die Großvaterrolle zu übernehmen”, sagt Fooken. “Zu den Enkeln eine Beziehung aufzubauen, gelingt oft besser als der Kontakt zu den eigenen Kindern.” Oder auch das Telefonat mit Cousine Gertrud.
Von Eva Dignös, (dpa)