Jeder Mensch fühlt sich hin und wieder einsam. Wer aber chronisch davon betroffen ist, lebt oft ungesünder. Und kann körperlich Schaden nehmen.
Macht Einsamkeit uns auf lange Sicht krank? Und was hieße das für eine alternde Gesellschaft wie Deutschland, in der heute schon jeder Fünfte, 2060 vermutlich sogar jeder Dritte über 65 Jahre alt ist?
Laut dem regelmäßig fortgeschriebenen Deutschen Alterssurvey sinkt in Deutschland der Anteil der Einsamen zwar seit zwei Jahrzehnten – auch unter den Älteren. Global warnen US-Forscher jedoch vor einer „Einsamkeits-Epidemie”, die Gesundheitsprobleme bereiten könnte.
Auf dem Jahrestreffen der Amerikanischen Psychologen-Gesellschaft wurden jüngst mehrere Studien dazu präsentiert: Menschen mit vielen Sozialkontakten haben demnach ein um 50 Prozent geringeres Risiko, früher als erwartet zu sterben. Eine andere Meta-Auswertung von 148 Studien aus USA, Europa, Asien und Australien zeigte, dass die drei Parameter soziale Isolation, Einsamkeit und Single-Dasein jeweils messbare Auswirkungen auf einen vorzeitigen Tod haben – und zwar ebenso stark wie die Risikofaktoren Fettleibigkeit oder Rauchen.
„Das hat man bislang unterbewertet”, sagt die Psychologin Julianne Holt-Lunstad von der Brigham University, die die Arbeiten in Washington vorstellte. „Aber gesammelte Daten aus Hunderten Studien mit Millionen Teilnehmern liefern uns robuste Hinweise, welche Bedeutung Sozialkontakte für die körperliche Gesundheit haben und für das Risiko eines vorzeitigen Todes.”
Sich einsam zu fühlen, ist kein Phänomen des Alters
Auch Anne Böger vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) schreibt: „Einsame Personen rauchen häufiger, sind eher in Gefahr, übergewichtig zu sein und berichten weniger körperliche Aktivität.” Auch mit erhöhtem Brustkrebsrisiko und Herzgefäß-Problemen wurde Einsamkeit in Zusammenhang gebracht.
Für die USA sagt Holt-Lunstad eine heranrollende Einsamkeitswelle voraus: 2010 haben sich einer US-weiten Umfrage zufolge 35 Prozent aller Menschen ab 45 Jahren chronisch einsam gefühlt – ein Jahrzehnt zuvor waren es nur 20 Prozent. Gründe dafür seien mehr Single-Haushalte, höhere Scheidungsraten und ein stärkerer Fokus auf soziale Medien statt auf Kontakte im echten Leben.
Deutsche Forscher sehen das Szenario nicht so düster. Maike Luhmann, Psychologie-Professorin an der Ruhr-Uni Bochum, hat 2016 auf Basis von Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel eine große Studie zu Einsamkeit veröffentlicht. Einen Bezug zu Sterblichkeit konnte sie mit diesen Daten zwar nicht untersuchen. Aber sie stellte fest, dass Einsamkeit keineswegs ein sich langsam auftürmendes Altersphänomen ist.
Zwar haben die Ältesten am meisten Probleme mit Einsamkeit. Ab 86, wenn körperliche Gebrechen und der Tod von Wegbegleitern oft Realität sind, klagt jeder Fünfte darüber. Aber: Auch Menschen in der Lebensmitte (46-55 Jahre, 14 Prozent) und jüngere Erwachsene (26-35 Jahre, 14,8 Prozent) fühlen sich häufig einsam. Am wenigsten betroffen sind die jüngeren Alten (66-75 Jahre, 9,9 Prozent).
Wer sich ausgeschlossen fühlt, hat auch ein höheres Risiko für Einsamkeit
Luhmann erläutert: „Veränderungen in den Sozial- und Kontaktstrukturen sind ja nicht unbedingt nur negativ. Beispielsweise könnten soziale Medien und Internetanwendungen wie Skype gerade älteren, weniger mobilen Menschen die Möglichkeit geben, häufiger und intensiver Kontakt zu Familie und Freunden zu halten, als es vielleicht noch vor Kurzem der Fall war.”
Zwar gibt es auch in Deutschland mehr Scheidungen, Singles und Menschen mit wechselnden Partnerschaften. Auch unter den langsam alternden Babyboomern hat längst nicht jeder Kinder. „Aber Kinder sind auch keine Garantie gegen Einsamkeit”, betont Luhmann. „Gerade wenn sie selber noch Kinder haben oder weit weg wohnen.” Freundeskreise könnten dies auffangen. „Prinzipiell sind Menschen weniger einsam, je mehr tiefe Beziehungen sie haben und je mehr sie sich zugehörig fühlen.”
Letzteres scheint ein Knackpunkt zu sein. Wer sich ausgeschlossen und sozial isoliert fühlt, hat auch ein höheres Risiko für Einsamkeit, stellt auch der Deutsche Alterssurvey fest. Außerdem könne aufgrund von Armut das Gefühl aufkommen, nicht so richtig dazuzugehören, ergänzt Luhmann.
Wie einsam nach Deutschland geflüchtete Menschen sind, muss ein künftiger Alterssurvey zeigen. Bislang gibt es dazu keine Daten. Bedenke man aber die Faktoren, die Einsamkeit hervorrufen könnten – geringes Einkommen, kleines soziales Netzwerk, wenig direkte Kontakte und Trennung von engen Angehörigen – so sei es wahrscheinlich, dass viele Geflüchtete davon betroffen seien, vermutet Luhmann.
Von Andrea Barthélémy (dpa)