Nach der am Montag in Berlin vorgelegten Zollstatistik für 2015 zogen Fahnder im vergangenen Jahr weit mehr illegale und gefälschte Arzneimittel aus dem Verkehr als in den Vorjahren. 2015 seien 3,9 Millionen Stück Tabletten sichergestellt worden – annähernd viermal mehr als im Jahr 2014.
Die Jahresbilanz 2015 der Zollverwaltung
Gefälschte Arzneimittel: 3,9 Millionen Tabletten wurden sichergestellt. Aufgedeckt würden zunehmend größere kriminelle Strukturen und Verteilerbanden, die über illegale Online-Apotheken aktiv seien, berichtet der Zoll. Hauptherkunftsländer gefälschter Medikamente und Lifestyle-Produkte seien China, Indien und Thailand.
Schwarzarbeit: Im Kampf gegen illegale Beschäftigung setzen Fahnder stärker auf „risikoorientierte“ Prüfungen statt auf Masse. Im Zuge der neuen Strategie ging die Zahl der Schwarzarbeit-Kontrollen um etwa 30 Prozent auf 400 000 zurück. Gleichzeitig sei die Zahl der Strafverfahren aber um etwa 3 000 auf mehr als 106 000 gestiegen. Die aufgedeckte Schadenssumme belaufe sich auf fast 820 Millionen Euro – nach 795 Millionen Euro im Jahr 2014.
Mindestlohn: Seit 2015 kontrollieren Zöllner auch die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns. Größere Verstöße gab es den Angaben zufolge bisher nicht. Diese bewegten sich im vierstelligen Bereich.
Zigarettenschmuggel: Die Zahl der sichergestellten Zigaretten halbierte sich fast – auf 75 Millionen Stück. Grund ist laut Zoll ein verändertes Verhalten von Tätern, die zunehmend legale und illegale Warenströme miteinander verknüpften.
Drogen: 2015 zog der Zoll 16,7 Tonnen Rauschgift aus dem Verkehr, über drei Tonnen mehr als 2014. Der Trend beim Kokain-Schmuggel setzte sich fort: Die beschlagnahmte Menge erhöhte sich erneut von 1,2 auf nunmehr 1,7 Tonnen.
Produktpiraterie: Der Wert der beschlagnahmten gefälschten Waren blieb mit 132 Millionen Euro nahezu konstant. Über 75 Prozent der Waren stammte aus China und Hongkong. Am häufigsten geschmuggelt wurden Körperpflegeprodukte und Spielzeuge.
Waffenschmuggel: Mit 25 Stück wurden zwar weniger Kriegswaffen sichergestellt (2014: 95), was auch den Sprengstoffschmuggel betraf. Dagegen wurde mehr Munition sichergestellt – rund 1,547 Millionen Schuss nach gut 0,777 Millionen.
Bargeld: Über die Grenze wurde offenbar wieder etwas mehr Geld ins Ausland geschmuggelt. Zollfahnder zogen 8,5 Millionen Euro aus dem Verkehr – nach 6,5 Millionen Euro im Jahr 2014. 2013 lag die sichergestellte Summe noch bei 573 Millionen Euro.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warnte: „Ich empfehle jedem, Medikamente online nur aus nachweislich seriösen Quellen zu kaufen.” Die vermeintliche Schnäppchenjägerei könne erhebliche gesundheitliche Folgen haben. Aufgedeckt würden zunehmend größere kriminelle Strukturen und Verteilerbanden, so der CDU-Politiker.
Viele gefälschte Arzneimittel stammen aus China, Indien oder Thailand
Die Zahl der Personen, gegen die der Zoll ermittelt habe, sei gegenüber 2014 von 3100 auf 4100 gestiegen. Der überwiegende Teil der Wirkstoffe und Fertigprodukte kommt nach Angaben des Zolls aus China, vieles aber auch aus Indien und Thailand.
Das Geschäft sei lukrativ. Im illegalen Medikamentenhandel lockten vierstellige Gewinnmargen. Letztlich könne hier mehr Geld gemacht werden als im Handel mit Betäubungsmitteln und Drogen. Besonders beliebt seien Lifestyle-Produkte.
Internetseiten illegaler Online-Apotheken seien professionell gestaltet, um Seriosität vorzutäuschen, so die Zoll-Experten. Die Täter verfügten über eine umfangreiche Logistik und ausgefeilte Handelssysteme. Die online bestellte Ware werde in kleineren Mengen nach Deutschland geschmuggelt.
Deutsche erstaunlich risikofreudig bei Online-Bestellungen von Arzneimitteln
Die deutschen Verbraucher lassen nach Erkenntnissen der Experten ausgerechnet bei Online-Bestellungen von Arzneimitteln jede Vorsicht missen. Bei der Risikofreudigkeit von Internet-Bestellungen liege Deutschland nach einer britischen Studie „erstaunlicherweise” auf Platz eins. 38 Prozent der Deutschen seien bereit, risikobehaftete Produkte im Internet zu bestellen.
Das Ergebnis sei umso unverständlicher, weil gerade bei Arzneimitteln verschreibungspflichtigen Medikamente überwiegend von den Krankenkassen bezahlt würden. Auch bei angeblichen Medikamenten auf Pflanzenbasis werde bei gefälschten Produkten Verbrauchern häufig etwas vorgegaukelt, hieß es. „Peinlichkeitsbestellungen” etwa des Potenzmittels Viagra seien unnötig, da diese Produkte ganz legal bezogen werden könnten.
Oft werde bei Bestellungen nicht mal das Impressum von Online-Apotheken gelesen, kritisieren Zoll-Experten. Bei einer von Ermittlern für genehmigte Tests eingerichteten Fake-Adresse einer Internet-Apotheke seien 1400 Bestellungen eingegangen. Und dies, obwohl im Impressum des Online-Angebots ausdrücklich auf Folgendes hingewiesen worden sei: „Diese Apotheke wurde nur geschaffen, Sie zu belügen und zu betrügen…”
Von André Stahl (dpa)