Studie: Bei Rückenbeschwerden röntgen Ärzte vorschnell und zu oft

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Wenn der Rücken weh tut, sofort zum Arzt und möglichst schnell geröntgt werden? Bei Schmerzen im Kreuz reagieren Patienten und Ärzte häufig übertrieben, wie eine Studie zeigt. Denn bildgebende Verfahren können auch kontraproduktiv sein.

Rückenschmerzgeplagte Patienten werden einer neuen Studie zufolge noch immer zu häufig geröntgt oder in den Tomographen geschoben. Die meisten Patienten überschätzen dabei den medizinischen Nutzen von bildgebenden Verfahren bei Rückenschmerzen, so das Ergebnis einer Studie mitsamt Patientenumfrage der Bertelsmann-Stiftung. Demnach geht jeder fünfte Versicherte mindestens einmal im Jahr wegen Rückenschmerzen zum Arzt. Auch wenn die Zahl der Röntgenuntersuchungen bei Rückenbeschwerden seit 2009 leicht rückläufig ist, halten die Experten der Bertelsmann-Stiftung noch immer viele der sechs Millionen Bildaufnahmen mit Röntgengerät, Computer- oder Magnetresonanztomograph (CT/MRT) für vermeidbar.

Fünf typische Auslöser für Rückenschmerzen

Wer Probleme mit dem Rücken hat, sollte versuchen, die Auslöser zu finden und gezielt gegenzusteuern. Laut Reinhard Schneiderhan, Präsident der Deutschen Wirbelsäulenliga und Orthopäde in München, gibt es fünf typische Ursachen für Rückenschmerzen.

1. Langes Sitzen führt auf Dauer zu Fehlbelastungen der Muskulatur und kann wiederum Verspannungen und Schmerzen mit sich bringen. Schneiderhan rät zu einer aktiven Freizeitgestaltung: Spaziergänge oder Sportarten wie Pilates oder Yoga.

2. Bei Bewegungsmangel lässt die Muskulatur nach, und die Bandscheiben werden nicht ausreichend mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Be- und entlastet man sie moderat, verursache dies eine Pumpbewegung, erklärt Schneiderhan. Dadurch saugen die Bandscheiben sich mit Flüssigkeit voll und bleiben intakt. Geeignete Arten der Bewegung seien etwa Schwimmen oder Laufen.

3. Übergewicht belastet vor allem die Bandscheiben, die wie Stoßdämpfer zwischen den Wirbeln liegen.

4. Stress kann zu Muskelverspannungen führen. Um gegenzusteuern empfiehlt Schneiderhan, die seelische Belastung möglichst zu verringern, aber auch die Rückenmuskulatur zu stärken und Verspannungen zu lösen.

5. Schweres Tragen ist vor allem bei schwacher Muskulatur ein Problem. Oft schießen dann plötzlich Schmerzen in den Rücken. Schneiderhan rät, möglichst Rucksäcke zu verwenden und Lasten möglichst gleichmäßig zu verteilen – beim Einkaufen sollte man besser zwei kleinere Taschen statt einer großen mitnehmen. Wichtig: Zum Anheben geht man in die Knie, statt aus dem Rücken zu heben.

Insgesamt wurden 2015 pro 1000 Patienten mit Rückenschmerzen 375 Bilder erstellt – zuviel, kritisieren die Experten. So wurde jeder fünfte Patient bereits im Quartal der Erstdiagnose durchleuchtet. Dabei empfehlen die medizinischen Leitlinien dies frühestens, wenn herkömmliche Therapien wie Schmerzmittel oder Krankengymnastik keinen Erfolg hatten. In über der Hälfte der Fälle hatte es jedoch vor der Bildaufnahme gar keinen Therapieversuch gegeben. 21 Prozent der Patienten wurden in den fünf Jahren nach ihrer Diagnose zwei bis dreimal durchleuchtet – sieben Prozent öfter als viermal. Bei jedem sechsten Patienten veranlassten Mediziner eine Aufnahme, ohne dass es Warnhinweise auf einen ernsthaften Krankheitsverlauf gab, etwa Lähmungen oder Brüche. Ohne solche Hinweise sehen die Leitlinien keinen Anlass für ein Bildgebungsverfahren.

Ein Großteil der akuten Beschwerden verschwindet von alleine wieder

Gleichzeitig offenbart die Studie erhebliche regionale Unterschiede im Verhalten der Patienten und Ärzte: So gehen Menschen in Berlin häufiger mit Rückenschmerzen zum Arzt als in Hamburg oder Schleswig-Holstein. Im Osten durchleuchten Hausärzte und Orthopäden Rückenschmerz-Patienten um bis zu ein Drittel seltener als im Rest der Bundesrepublik.

Allerdings können Ärzte entgegen der Erwartungen einer Mehrheit von Patienten (69 Prozent) auch mit bildgebenden Verfahren meistens keine spezifische Ursache für den Schmerz feststellen. Tatsächlich gelten 85 Prozent der akuten Beschwerden als medizinisch unkompliziert und verschwinden wieder. Dennoch ist jeder zweite der Umfrage zufolge davon überzeugt, dass man bei Rückenschmerzen immer einen Arzt aufsuchen muss. 60 Prozent erwarten schnellstens eine Untersuchung mittels bildgebender Verfahren, um dem Schmerz auf den Grund zu gehen.

Solche Erwartungen rückten die Ärzte häufig nicht zurecht, kritisieren die Experten der Bertelsmann-Stiftung. Weitere unnötige Untersuchungen und eine Verunsicherung des Patienten seien die Folge. Schlimmstenfalls könnten Schmerzen chronisch werden, weil Patienten kränker gemacht werden als sie sind, so die Studienautoren. Stattdessen fordern sie, Patienten besser zu informieren und durch eine bessere Vergütung des Patienten-Gesprächs Fehlanreizen zum vorschnellen Röntgen entgegenzuwirken.

Quelle: dpa