Alles immer gut und richtig machen zu wollen, scheint erstmal eine gute Eigenschaft zu sein. Vor allem Arbeitgeber schätzen Perfektionisten. Die stehen sich aber manchmal auch selbst im Weg. Wie man den ewigen Drang zur Spitzenleistung selbst zügeln kann.
Wer immer nur das Beste aus sich herausholen will, kann es zu Erfolg und Anerkennung bringen – oder mit Burnout auf der Couch eines Therapeuten landen. Aber was unterscheidet eigentlich eine gesunde Portion Leistungsbereitschaft von krankhaftem Perfektionismus? Und wie hält man den eigenen Drang, alles optimal zu erledigen, im Zaum?
Im Grunde steckt in jedem Menschen ein Perfektionist. „Wir lernen schon früh im Elternhaus und in der Schule, dass von uns Leistung erwartet wird“, sagt Meltem Avci-Werning, Vorstandsvorsitzende der Sektion Schulpsychologie beim Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Und auch, dass diese Leistung bewertet wird – durch Noten oder Lob der Eltern. Etwas besonders gut machen zu wollen, kann eine Reaktion auf diese Erwartungen sein. Das ist erstmal nicht schlecht, denn natürlich braucht die Gesellschaft Menschen, die Leistung bringen.
Man muss keine Bestleistungen bringen, um geliebt zu werden
„Im Arbeitsalltag kann man sich auf die Ergebnisse von Perfektionisten verlassen“, sagt Karriereberaterin Gaby Regler aus München. Sie liefern stets gute Arbeit, insbesondere wenn besondere Sorgfalt gefragt ist. „Niemand wollte in ein Flugzeug steigen, das nicht mit größter Perfektion gebaut worden ist“, sagt Avci-Werning. Hier ist Perfektionismus durchaus eine wertvolle Tugend.
Aber er kann auch zur Last werden und nicht nur der eigenen Selbstverwirklichung, sondern auch zwischenmenschlichen Beziehungen im Weg stehen. Psychologen unterscheiden bei Perfektionisten zwischen zwei Varianten. Solange jemand zwar das Beste erreichen möchte, aber sich selbst und anderen auch Fehler zugesteht und diese ertragen kann, ist Perfektionismus kein Problem.
„Wenn jemand jedoch in diversen Lebensbereichen extrem hohe Maßstäbe hat und an diesen rigide festhält, weil der eigene Selbstwert davon abhängt, dann kann dies zum Problem werden“, erklärt Nils Spitzer, Psychologischer Psychotherapeut und Buchautor. Besonders problematisch ist es, wenn jemand das Gefühl hat, er werde von anderen nur geliebt und akzeptiert, wenn er Bestleistungen erbringt.
Solche Menschen schauen eher auf Fehler als auf Erfolge und leiden, wenn sie ihre hohen Maßstäbe nicht erfüllen. Daraus können Ängste vor Prüfungssituationen entstehen. Auch Aufschiebeverhalten ist typisch für diese Menschen. Für sie gibt es immer einen Grund, warum etwas noch nicht gut genug ist, um es abzuschließen, sagt Spitzer.
„Im Berufsalltag brauchen Perfektionisten oft mehr Zeit als ihre Kollegen“, erläutert Karriereberaterin Gaby Regler. Sie können häufig auch schlechter delegieren, weil sie lieber alles selbst machen wollen. Das Gefühl, nie fertig zu werden, belastet sie zugleich. Langfristig drohen Burnout oder Depressionen, manchmal auch Essstörungen, da die hohen Ansprüche zu chronischem Stress führen. „Laut einer Studie könnte das gesteigerte Stresslevel von Perfektionisten langfristig sogar zu einer geringeren Lebenserwartung führen“, warnt Spitzer. Zudem belastet es nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch deren Familien oder Partner.
Nichts zu tun ist für Perfektionisten schwierig
Was hilft, ist genau hinzusehen und das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen. Avci-Werning empfiehlt, zunächst die Frage nach dem eigenen Motiv zu stellen: Will ich Karriere machen und deshalb immer Spitzenklasse sein? Oder habe ich das Gefühl, perfekt sein zu müssen, damit andere mich mögen? Letzteres könnte ein Hinweis auf ein geringes Selbstwertgefühl sein. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, mit einem Therapeuten daran zu arbeiten.
Aber nicht immer ist gleich eine Therapie nötig. „Manchmal hilft es zu überlegen, wie wichtig etwas rückblickend in einem Jahr noch sein wird, um einzuschätzen, ob der eigene Perfektionismus angebracht ist oder nicht.“ Spitzer warnt zudem davor, sich an perfektionistischen Menschen ein Beispiel zu nehmen oder sich mit ihnen zu vergleichen.
Auch den sogenannten Pareto-Effekt sollten Betroffene beachten, empfiehlt Regler. Demnach beanspruchen die letzten 20 Prozent eines Projekts 80 Prozent der gesamten Zeit. „Man sollte sich also überlegen, ob sich dies in der speziellen Situation wirklich lohnt“, sagt Regler. Bei Aufgaben, die weniger relevant sind oder für die man persönlich nicht brennt, genüge es manchmal, sie zu nur 80 Prozent zu erledigen.
Auch aktive Erholung kann entlasten. Nichts tun ist für Perfektionisten jedoch eine schwierige Aufgabe. Zwingen sie sich zur Erholung, fühlen sie sich schuldig, weil sie vermeintlich Zeit verschwendet haben. „Da hilft es, zu überlegen: Was kann ich aktiv tun und gleichzeitig zur Ruhe kommen?“ Der eine schafft das mit Sport, andere, indem sie sich mit Freunden treffen, wieder andere erholen sich bei einer Meditation. Mit ein paar Tricks lässt sich der eigene Perfektionismus also in die richtigen Bahnen leiten, so dass er nicht irgendwann zur Bürde wird.
Von Mira Fricke (dpa)