Guido Westerwelle ist an diesem Wochenende präsent wie früher: Über seinen Kampf gegen den Krebs hat der Ex-Außenminister ein Buch geschrieben. Ein „Mutmacher“ soll es sein. Westerwelle meint, er sei „ein anderer geworden“. Aber nicht ganz.
Das Berliner Ensemble, das alte Haus von Bertolt Brecht, liegt nur ein paar Schritte von der Zentrale der FDP entfernt. Im Theaterrestaurant „Ganymed“, gleich nebenan, feierten Guido Westerwelle und seine Freidemokraten einst ihren größten Erfolg: die 14,6 Prozent bei der Bundestagswahl 2009. Später gab es hier viele Krisengespräche.
Über Politik will er nicht reden
Am Sonntag kehrt der ehemalige FDP-Chef erstmals wieder ins Berliner Ensemble zurück. Dieses Mal, um 17 Monate nach seiner Leukämie-Diagnose das Buch darüber vorzustellen: „Zwischen zwei Leben. Von Liebe, Tod und Zuversicht.“ Ob der Kampf gegen den Blutkrebs erfolgreich war, weiß Westerwelle noch nicht genau.
Gesund ist der 53-Jährige noch nicht. Der forsche Gang, die große Geste, die laute Stimme sind weg. Gleich zu Beginn entschuldigt er sich, dass er jetzt manchmal schwer zu verstehen sei. Auf jeden Fall geht es dem ehemaligen Außenminister aber deutlich besser als in vielen der letzten Monate. „Man ist noch schwach“, sagt er. „Man muss sehen, dass man zu Kräften kommt. Aber vor einem Jahr hätte ich diesen Zustand herbeigesehnt.“
Vor kurzem wäre auch ein so anstrengendes Programm wie an diesem Wochenende überhaupt nicht denkbar gewesen. Westerwelle ist präsent wie früher: auf den Titelseiten von „Bild“ und „Spiegel“, dann Buchpremiere und schließlich live in der ARD-Talkshow „Günther Jauch“. Nur, dass er über Politik nicht reden will. Als doch eine Frage zu seinem heutigen Verhältnis mit der FDP kommt, lautet die Antwort knapp: „Für mich ist das so weit weg. Und so lange her.“
So fühlt sich Sterben an
Man glaubt ihm das sofort. Westerwelle hat die letzten Monate Dinge durchmachen müssen, die ihm der ärgste Feind nicht gewünscht hätte. Im Juni 2014 – ein halbes Jahr nach dem Abschied aus dem Auswärtigen Amt – wurde bei ihm akute myeloische Leukämie festgestellt, Blutkrebs der besonders gefährlichen Art. Die Überlebenschancen lagen bei 10 Prozent.
An der Universitätsklinik Köln, unter Regie des Krebsexperten Professor Michael Hallek, unterzog sich Westerwelle einer Chemotherapie. Das reichte nicht. Im vorigen Herbst bekam er auch eine Transplantation von Knochenmark-Stammzellen. Der schlimmste Moment war kurz danach, als sein Körper auf eine Infusion allergisch reagierte. „Ich habe in dem Augenblick gedacht: Jetzt sterbe ich. So fühlt es sich an, das Sterben.“
Westerwelle führte während der gesamten Zeit Tagebuch. Daraus entstand, in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen „Stern“-Chefredakteur Dominik Wichmann, „Zwischen zwei Leben“. „Das ist kein Krankheitsbuch“, meint Westerwelle. „Es soll anderen Mut machen, so wie mir Mut gemacht worden ist. Es hat mir bei der Bewältigung meiner Dämonen sehr geholfen.“ Außerdem will er dafür werben, dass sich noch mehr Menschen in Knochenmark-Spenderdateien registrieren lassen.
Er ist derselbe Mensch und doch ein ganz anderer
Ihm hat die Stammzellen-Spende wohl das Leben gerettet. Er hat nun eine andere Blutgruppe, andere Virus-Empfindlichkeiten. An das neue Immunsystem muss sich der Körper erst noch gewöhnen. Wegen einer Lungenentzündung musste er vor einer Weile wieder in die Klinik. Auf die Frage, was von ihm übrig geblieben sei, meint er am Sonntag: „Man bleibt derselbe Mensch. Und ist doch ein anderer geworden.“
Die Frage beschäftigte deutlich früher auch schon Westerwelles Ehemann Michael Mronz. Am Tag vor der Transplantation bat der Sportmanager den behandelnden Professor um die Zusage, dass dadurch nicht „wesentliche Grundlagen“ seiner Ehe infrage gestellt würden. Auf dessen fragenden Blick ergänzte Mronz: „Ich will nur sicher sein, dass Guido nicht ab morgen mit den Krankenschwestern flirtet.“ Halleks Antwort: „Versprochen.“
Von Christoph Sator (dpa)