Es ist das gemeinsame Ziel im Bundestag, zu mehr Organspenden zu kommen. Doch was soll sich dafür ändern? Ein erstes umstrittenes Konzept liegt schon vor. Nun kommt ein Gegenentwurf auf den Tisch.
Soll jeder künftig automatisch Organspender sein, solange er nicht widerspricht – oder soll das erst nach reiflich überlegter Entscheidung der Fall sein? In der Debatte um neue Regeln für Organspenden in Deutschland wird an diesem Montagvormittag ein zweiter konkreter Vorstoß aus dem Bundestag vorgestellt. Eine Abgeordnetengruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und die Linke-Vorsitzende Katja Kipping legt einen Gesetzentwurf vor, der verbindliche regelmäßige Befragungen der Bürger vorsieht. Sie sollen Erklärungen zu ihrer Spendenbereitschaft dann beim Ausweisabholen in ein Register eintragen können. So solle die Organspende als „bewusste und freiwillige Entscheidung“ beibehalten werden, die nicht durch den Staat erzwungen werden dürfe.
Die Parlamentarier stellen sich damit deutlich gegen eine ebenfalls fraktionsübergreifende Gruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Diese hatte Anfang April einen Gesetzentwurf für eine „doppelte Widerspruchslösung“ vorgestellt. Das hieße, dass künftig alle Volljährigen in Deutschland grundsätzlich als Spender gelten. Man soll dazu aber noch Nein sagen können. Sonst wäre – als doppelte Schranke – noch bei Angehörigen nachzufragen.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte, dass die Gruppe um Baerbock auf eine ausdrückliche Entscheidung zur Organspende setze. Im Gegensatz dazu mache die Widerspruchslösung jeden automatisch zum Spender. „Es wird gehofft, dass der Bürger sich mit der Organspende nicht beschäftigt und schweigt“, kritisierte Vorstand Eugen Brysch. „Schweigen heißt aber nicht Zustimmung. So wird das Misstrauen in der Bevölkerung eher verstärkt.“ Unabdingbar sei vielmehr eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema. Dazu brauche es eine sachliche, neutrale und ergebnisoffene Aufklärung und Beratung. Zudem müsse klar sein, dass jede Entscheidung respektiert werde, egal wie sie ausfällt – auch, wenn sich jemand noch nicht entscheiden möchte.
Über die Entwürfe zu möglichen neuen Regeln soll der Bundestag ohne Fraktionsvorgaben entscheiden. Gemeinsames Ziel beider Initiativen ist es, angesichts von fast 10.000 Patienten auf den Wartelisten zu mehr Organspenden zu kommen. Nach langem Abwärtstrend stieg deren Zahl im vergangenen Jahr erstmals wieder. Bisher sind Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärtem Ja erlaubt. Viele Menschen entscheiden sich aber nicht. Unabhängig von der Debatte gelten seit kurzem neue Regeln, um Bedingungen für Organspenden in Kliniken zu verbessern – mit mehr Geld und mehr Freiraum für Transplantationsbeauftragte.
Der Gesetzentwurf der Gruppe um Baerbock sieht außerdem vor, dass Hausärzte Patienten bei Bedarf aktiv alle zwei Jahre über die Organ- und Gewebespende beraten und sie zur Eintragung ins Online-Register ermutigen. Bürgern soll es möglich sein, ihre Entscheidung möglichst einfach zu dokumentieren und jederzeit zu ändern und zu widerrufen.
Spahn begrüßte die Debatte über das Thema. Bei dem Entwurf handele es sich nicht um Widerstand gegen ihn, sondern um einen weiteren Vorschlag, um die Zahl der Organspender zu erhöhen. Er selbst sei vor Jahren auch noch gegen eine Widerspruchslösung gewesen. Die Anstrengungen der vergangenen Jahre hätten aber nicht zu mehr Organspenden geführt. Es müsse auch mehr Aufklärung geben, allerdings von Ärzten und nicht wie in Baerbocks Entwurf vorgesehen beim Bürgeramt.
Patientenschützer Brysch monierte, beide Entwürfe gingen das zentrale Problem nicht an. „Das bestehende Organspendesystem ist intransparent und verunsichert viele Menschen.“ Daher müsse der Gesetzgeber tätig werden. „Das Transplantationssystem gehört in staatliche Hände.“ Der Staat dürfe sich bei der Verteilung von Lebenschancen nicht weiter von privaten Institutionen abhängig machen. Außerdem bräuchten Patienten auf Organ-Wartelisten mehr Rechtssicherheit. „Denn bis heute ist unklar, ob Zivil-, Sozial- oder Verwaltungsgerichte zuständig sind, wenn Entscheidungen überprüft werden müssen.“
Quelle: dpa