Die neuen Anti-Aging-Agenten

Pürierte Schneckenhörner zur Behandlung von Zahnschmerzen? Darauf vertrauten zumindest die alten Griechen. In seinem Essayband „Schnecken“ setzt Florian Werner dem kleinen Kriecher ein liebevolles Denkmal. Das Buch porträtiert jedoch nicht nur die Spezies Schnecken, sondern auch uns Menschen.

© Matthes & Seitz Berlin Verlag

© Matthes & Seitz Berlin Verlag

Die Schnecke ist Florian Werners Lieblingstier. Umso schwerer fiel es dem Kulturwissenschaftler, der sich obendrein noch einen „bekennenden Vegetarierschlappschwanz“ nennt, sie zu Recherchezwecken zu verköstigen. „Kaugummi mit Knoblauch-Kräuterbutter-Geschmack“, so sein Fazit. Kein Erlebnis, das er wiederholen müsse.

Tatsächlich waren früher nicht Delikatessenläden, sondern Klöster die Hauptabnehmer der kleinen Weichtiere – wohlgemerkt nicht für den Garten, sondern als Lebensmittel. Denn nach der katholischen Ernährungslehre sind Schnecken weder Fisch noch Fleisch und durften auch während der Fastenzeit verzehrt werden. Kein Wunder also, dass wir urkatholischen Ländern wie Frankreich und Spanien unsere feinsten Schneckenrezepte verdanken.

Arzneien aus Schneckenschleim

Florian Werners Buch „Schnecken“ ist wissenschaftlich fundiert, aber nicht trocken. Die Essays, mit denen er seinem Untersuchungsobjekt zu Leibe rückt, sind liebevolle, nicht selten sogar sehr persönliche Annäherungen an ein Tier, dessen Existenz wir im Alltag wenig Beachtung schenken.

Beispiel Medizin: Zur Behandlung von Kopfschmerzen empfahlen die alten Griechen etwa, der Schnecke den Kopf abzuschneiden, ihn zu zerreiben und sich auf die Stirn zu streichen. Bei Schnupfen, Schwindel und Eiterbeulen sollte man das Tier am besten am Stück verzehren – und zwar lebendig.

Über die Jahrhunderte haben sich die Therapieformen glücklicherweise geändert. Eine heilende Wirkung, bemerkt Werner, wird dem Schneckenschleim jedoch bis heute nachgesagt: Verarbeitet in teuren Cremes soll er gegen Warzen, Akne und Schwangerschaftsstreifen helfen.

Symbol der unbefleckten Empfängnis

In der Kosmetik scheinen die Tiere sogar ein echtes Revival zu erleben. Als natürliche „Anti-Aging-Agenten“ lassen immer mehr Japaner die Tiere über ihr Gesicht kriechen. Sie sollen tote Hautzellen abknabbern, die Poren reinigen und Falten vorbeugen.

Neben so viel Kulturgeschichte darf natürlich auch die Biologie, die Wissenschaft der Lebewesen, nicht fehlen. Besonders spannend ist etwa die Art, wie die Schnecke sich fortpflanzt. Geboren als Zwitter, verfügt sie über männliche wie weibliche Geschlechtsorgane und kann sich selbst befruchten. In der christlichen Religion ist sie daher auch ein Symbol für die unbefleckte Empfängnis.

Weinbergschnecke

Weinbergschnecke

Das perfekte Haustier

Tatsächlich ist die Schnecke jedoch nicht nur ein Tier, sie bildet auch eine eigene Klasse innerhalb des Stammes der Weichtiere. Über 100.000 verschiedene Schneckenarten gibt es auf der Welt. Rund drei Viertel von ihnen leben im Wasser. Einige sind nur ein paar Millimeter groß, andere fast einen halben Meter. Anschaulich wird diese Artenvielfalt anhand der vielen detailreichen Zeichnungen und Drucke im Buch. Sie machen deutlich, wie facettenreich, aber auch wie schön die Spezies der Schnecken ist.

Persönlich empfiehlt Werner das kleine Weichtier daher auch nicht als Creme gegen etwaige Hautleiden, sondern als Haustier. „Die Schnecke ist pflegeleicht. Sie bellt, miaut, piepst nicht“, meint er. Und: „Sie hat keine Krallen, mit denen sie das Sofa zerkratzt.“

 

Kaurischnecke

Kaurischnecke

„Schnecken. Ein Portrait“ von Florian Werner ist im Verlag Matthes & Seitz Berlin in der Reihe „Naturkunden“ erschienen und kostet 18 Euro. „Naturkunden“ wird herausgegeben von der Schriftstellerin und Buchgestalterin Judith Schalansky. Weitere Tierporträts der Reihe sind unter anderem „Krähen“ von Cord Riechelmann und „Schweine“ von Thomas Macho. Im Frühjahr erscheint „Schmetterlinge“ von Andrea Grill.