Ein Hospiz für Obdachlose

Ein Hospiz für Obdachlose

Foto: Britta Pedersen/dpa

Im österreichischen Graz bietet das erste Hospiz für Obdachlose im deutschsprachigen Raum Zuflucht und Ansprache, wenn es zu Ende geht. Für den Orden der Elisabethinen ein Akt der Nächstenliebe: „Wir möchten ein Zuhause schaffen für jene, die kein Zuhause haben.“

Den Tod fürchte sie nicht, aber den Schmerz, sagt die Schwerkranke. Sie sitzt im Wohnzimmer des Grazer „VinziDorf“-Hospizes für Obdachlose, das einzigartig ist im deutschsprachigen Raum. Im Mai hat es eröffnet. Dort erhält sie schmerzlindernde Medikamente, bis zuletzt. Vor wenigen Jahren kam sie nach Graz und hatte eines Nachts stechende Schmerzen. Sie war an Darmkrebs erkrankt. Operationen halfen nicht. Für die Chemotherapie fehlten Versicherung und Geld. Zuflucht auf dem letzten Lebensabschnitt fand die Wohnungslose in dem kleinen Haus, das der katholische Orden der Elisabethinen betreibt.

„Obdachlose gehen ungern ins Krankenhaus, denn dort ist es so steril und voll starrer Regeln“, sagt Gerold Muhri. Er koordiniert die ärztliche Betreuung in dem Hospiz mit zwei Zimmern. „Auch sind sie isoliert, weil ihre Freunde sie nicht besuchen.“ Es gebe in beide Richtungen Berührungsängste. Einige sterben alleine auf einer Bank oder unter einer Brücke. Diese Einsamkeit wolle das Hospiz durchbrechen.

Wer arm ist, stirbt früher

Die Kapazität des Hospizes werde vorerst nicht erhöht, sagen die Leiter. Vielmehr hoffen sie, dass andere ihrem Beispiel folgen. „Bis jetzt gibt es aber leider keine Nachmacher“, sagt Désirée Amschl-Strablegg, die sich um die pflegerische Leitung kümmert. Aber schon jetzt zeigt sich, dass das Angebot ankommt: „Es gibt mittlerweile eine Warteliste“, sagt Anna Felber von den Elisabethinen.

In Deutschland nimmt die Zahl der Wohnungs- und Obdachlosen deutlich zu. 2016 hatten schätzungsweise 422.000 Menschen keine Wohnung, wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) mitteilte. Im Vorjahr seien es 367.000, im Jahr 2014 erst rund 335.000 gewesen. Dazu kamen 2016 nach Angaben des Verbands rund 436.000 anerkannte Flüchtlinge, die ohne eigene Bleibe in Gemeinschaftsunterkünften lebten. Teure Mieten und weniger Sozialwohnungen gehören zu den Ursachen dieser Entwicklung. Völlig ohne jedes Obdach sind den Angaben zufolge etwa 52.000 Menschen in Deutschland.

Für die Wohnungslosen in Deutschland gibt es, anders als in Graz, zwar kein eigenes Hospiz. Doch werden sie in der Regel ambulant in der letzten Phase ihres Lebens begleitet. „Es gibt eine große Bereitschaft bei Hospizvereinen, sich auch für wohnungslose Menschen zur Verfügung zu stellen“, sagt Werena Rosenke von der BAG W.

Vor zwei Jahren, anlässlich des 325. Jubiläums des Ordens der Elisabethinen in Graz, fragten sich die Schwestern dort, wie man den Auftrag, den Armen und Kranken zu helfen, weiter umsetzen könnte. So entstand die Idee für das Hospiz. Es finanziert sich aus Spenden und Mitteln des Gesundheitsfonds Steiermark. Firmen geben, was gebraucht wird, sei es Bettwäsche oder Küchenutensilien.

Gegenüber findet sich das „VinziDorf“. Dort stehen mehrere Container, in denen Menschen leben, die sonst kein Obdach hätten. Meist sitzen sie im Hof und trinken, rauchen, spielen Karten. „Diese Menschen haben oft keine Versicherung, aber sie werden genauso krank wie andere“, sagt Muhri. Und Studien zeigen: Wer arm ist, stirbt früher.

Gegen das Alleinsein

„Wir möchten ein Zuhause schaffen für jene, die kein Zuhause haben und an einer unheilbaren Krankheit leiden“, sagt Amschl-Strablegg. Bei der Arbeit sei entscheidend, sich auf den Menschen einzulassen. Man könne das nicht lernen. „Phrasen helfen nicht.“ Das Unweigerliche müsse ausgesprochen werden. Doch dürfe man nie über das, was der Sterbende fragt, hinausgehen.

Der erste Gast des Hospizes war ein Musiker aus Großbritannien, ein Ruheloser, der über 30 Jahre lang durch Europa gereist ist mit seiner Gitarre, um auf der Straße Geld zu verdienen. Doch er erkrankte an Bauchspeicheldrüsenkrebs. In einem Krankenhaus im österreichischen Kärnten sagten sie ihm, sein Leben werde bald enden, und baten das Hospiz, den 56-Jährigen aufzunehmen – die Kosten für seine weitere Versorgung konnten nicht mehr übernommen werden.

Zunächst sei der Mann introvertiert gewesen, habe gesagt, dies sei kein „guter Ort“, erzählt Amschl-Strablegg. Doch als eine Hospizmitarbeiterin ihm etwas mit der Gitarre vorspielte, habe er sich geöffnet. Sein selbstbestimmtes Leben habe er geliebt; aber das Alleinsein, das sei nicht schön. Er hatte einen YouTube-Kanal. Im Hospiz schaute er sich seine Videos immer und immer wieder an. Nach einer Woche war er tot.

Ein anderer Gast war ein 46 Jahre alter Obdachloser, der direkt aus dem gegenüberliegenden Containerdorf in das Hospiz gezogen war. Er war schwer alkoholkrank, seine Leber nicht mehr zu retten, und er litt an Epilepsie. Erst einen Tag hatte er im Hospiz verbracht, als er im Schlaf starb. Seine Freunde kamen daraufhin über die Straße und verabschiedeten sich. „Da wusste ich: Wir sind auf dem richtigen Weg“, sagt Amschl-Strablegg.

Von Amadeus Ulrich (dpa)