Ethikrat nimmt zu Sterbehilfe Stellung – und lässt Fragen offen

340.000 Menschen sterben jährlich in Pflegeeinrichtungen, manche unter extremen Schmerzen. Ganz wenige wollen sich das Leben nehmen und brauchen dazu Hilfe, am besten von einem Arzt. Doch hier gibt auch der Ethikrat keine eindeutige Empfehlung.

Eigentlich hatte man sich von der Bewertung des Deutschen Ethikrates zum Thema Sterbehilfe weitere Klärung erhofft. Erste Reaktionen, wonach sich Vertreter unterschiedlicher Positionen in dem Papier wiederfinden können, lassen eher das Gegenteil vermuten.

Im Grunde genommen sieht das Gremium, dem Juristen, Ärzte, Theologen, Wirtschaftswissenschaftler und Ethiker angehören, keinen Grund, das Thema Sterbehilfe gesetzlich zu regeln. Denn nach geltender Rechtslage sind Suizid und Beihilfe zum Suizid nicht strafbar. Und dies stehe im Einklang mit den Prinzipien eines freiheitlichen Rechtsstaates. “Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Deutsche Ethikrat, das derzeit geltende Strafrecht nicht grundsätzlich zu ändern.

Auch eine eigene Regulierung der ärztlichen Suizidbeihilfe lehnt eine Mehrheit des Ethikrates ab. Denn auf diese Weise könnten gleichsam “erlaubte Normalfälle” definiert werden. Das ist bis hierher im wesentlichen die Position, die von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und Unionsfraktionschef Volker Kauder (beide CDU) sowie der Mehrheit der Unionsfraktion vertreten wird: Alles so lassen wie es ist, nur organisierte Sterbehilfe verbieten.

Der Ethikrat begrüßt die Absicht Gröhes, die Hospiz- und Palliativversorgung – also die Betreuung sterbenskranker Menschen – fördern zu wollen. Nach Gröhe ist bei dieser Sterbebegleitung in Form der palliativen Sedierung bereits die Möglichkeit gegeben, sterbenskranken, extrem leidenden Menschen so viel Schmerzmittel zu geben, dass sie beruhigt werden – auch auf die Gefahr hin, schneller zu sterben.

Gröhe vertritt in dem Punkt die Position der Bundesärztekammer (BÄK): Beihilfe zum Suizid ist keine ärztliche Aufgabe. Der Ethikrat argumentiert an dieser Stelle in eine andere Richtung. “Jeder Patient sollte sich darauf verlassen können, dass im geschützten Raum des Arzt-Patient-Verhältnisses ein offenes Gespräch zwischen Arzt und Patient über suizidale Gedanken beziehungsweise Absichten geführt werden kann und er eine lebensorientierte Beratung und Begleitung durch den Arzt erhält.”

Sollte aber die “lebensorientierte Beratung” nicht fruchten, empfiehlt die Mehrheit des Rates, dass die Ärzteschaft “einheitlich zum Ausdruck bringt”, dass sie in Ausnahmesituationen Gewissensentscheidungen des Arztes respektiert, auch wenn sie gegen den Grundsatz verstoße, dass Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe sei.

“Zudem ist eine Mehrheit des Ethikrates der Auffassung, dass der Gesetzgeber im Betäubungsmittelrecht klarstellen sollte, dass eine im Ausnahmefall erfolgende Verschreibung von Betäubungsmitteln auch im Rahmen einer Beihilfe zu einem frei verantwortlichen Suizid nicht strafbar ist.”

Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) und SDP-Fraktionsvize Carola Reimann sehen sich durch den Rat bestätigt. Sie erläuterten der Deutschen Presse-Agentur: “In für sie ausweglosen Situationen müssen todkranke Menschen das Recht haben, den Arzt um Suizidassistenz zu bitten. Es bleibt die freie Gewissensentscheidung des Arztes, ob er diesem Wunsch folgen will.”

Im übrigen sei nach einer Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum “nur noch jeder vierte Arzt in Deutschland der Auffassung, dass eine ärztliche Suizidassistenz im Berufsrecht der Ärzte nicht zugelassen werden soll”. Die Position der Ärzte sei – im Gegensatz zur Darstellung der BÄK – folglich keineswegs einheitlich.

Allerdings äußert auch der Ethikrat an heiklen Stellen der Debatte nur eine Mehrheitsmeinung, die erheblich Interpretationsspielräume lässt.

Quelle: dpa

 

Weiterführende Informationen:

Literaturauswahl zur Sterbehilfe-Debatte