“Gay and Gray”: Wie Schwule selbstbewusst älter werden

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Schrille Outfits und nackte Haut – Schwule als junges Partyvolk, das ist ein Klischee. Die erste Generation von Rentnern, die offen schwul lebt, beschäftigt andere Dinge. Mitunter brauchen die älteren Herren auch Pflege. Die passende zu finden, kann aber schwierig werden.

Günter Oelberger hat ihn gefunden. Den Mann fürs Leben. Vor über 50 Jahren hat er Hans Otto Subbe kennen und lieben gelernt. Vor acht Jahren ließen sich die beiden verpartnern. Und vor einigen Wochen erklärte Oelberger erstmals ohne Zögern einer Verkäuferin, dass er etwas für seinen Lebenspartner besorge.

Ein stolzes Lächeln kann sich der fidele 75-Jährige bei der Erinnerung daran nicht verkneifen. Mit einem guten Dutzend Männern sitzt Oelberger am Stammtisch von “Gay and Gray Stuttgart”. “Selbstbewusst älter werden” lautet das Motto der Gruppe, die sich diesmal im schwul-lesbischen Zentrum Weissenburg in Stuttgart-Mitte trifft. Bei den regelmäßigen Zusammenkünften sind rund 20 Männer dabei. Die meisten sind zwischen 65 und 75 und leben in Partnerschaften. Ähnliche Gruppen gibt es in Baden-Württemberg in Karlsruhe und Mannheim.

Schwulenbewegung seit den 1930er-Jahren aktiv

“Die Generation, die in den Sechzigern für Emanzipation gekämpft hat, kommt jetzt ins Alter”, erklärt Markus Ulrich vom Bundesverband der Lesben und Schwulen (LSVD).

Etwas differenzierter erklärt das Benno Gammerl, der am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin zur Zeitgeschichte der Homosexualitäten in Deutschland forscht. Für ihn gehören die engagierten Schwulen der 1930er und 1940er Jahrgänge zur sogenannten “Homophilenbewegung”. Eher unauffällig, aber maßgeblich hätten diese zu den entscheidenden Reformen des Paragrafen 175, der Sex zwischen Männern unter Strafe stellte, beigetragen.

“Die meisten von ihnen versuchten dabei, dem Idealbild des anständigen bürgerlichen Mannes zu entsprechen”, sagt Gammerl. Ihr Privatleben behielten sie also meist für sich. Die folgende Generation hätte ihre Homosexualität dagegen offensiv gezeigt.

Trotz dieser Pionierarbeit sei aber noch Luft nach oben, meint Gammerl. “Beim gesellschaftlichen Umgang mit sexueller Vielfalt liegt nach wie vor einiges im Argen.”

Jahrelang hatten etwa Günter Oelberger und sein Partner nebeneinander in getrennten Wohnungen gelebt, um den Schein zu wahren. “In unserer Jugend war es strafbar. Jeder Ausrutscher hätte schlimme Folgen haben können”, erinnert sich Oelberger. Tatsächlich wurde der berüchtigte Paragraf 175 erst 1994 vollständig aufgehoben. Die damals Verurteilten gelten heute noch als vorbestraft.

“Gay and Grey”-Herren haben viele Freiheiten erkämpt

Manche der “Gay and Gray”-Herren erzählen, wie ihre Karriere leiden musste, als bekanntwurde, dass sie schwul sind. Wie sie von den Eltern totgeschwiegen wurden. Wie sie andernorts ein neues Leben anfangen mussten. Wie sie die Aids-Hysterie der 1980er Jahre er- und überlebt haben. Auch mit wachsender Toleranz und Akzeptanz wäre keiner von ihnen auf die Idee gekommen, sich im aktiven Berufsleben so offen zu geben wie jetzt im Ruhestand, berichten sie. Neidisch auf die junge Generation, die die Freiheit genießt, sind sie nicht.

“Der Ruhestand ist die schönste Zeit des Lebens, ich bin in einer festen Partnerschaft. Im Alter ist die Gesundheit zwar eine unsichere Sache, aber das belastet mich nicht”, sagt der 67-jährige Peter Steinhoff von Gay and Gray. In dieser glücklichen Position befinden sich aber nicht alle. Zum Pflegefall kann jeder Senior werden. Für Homosexuelle ergeben sich daraus aber weitere Probleme, sagt Ulrich vom LSVD.

Er erzählt von schwulen Rentnern, die sich im Altersheim bedeckt geben müssen, weil Mitbewohner aus ihnen wieder “175er” machten. “Es geht aber auch darum, ob man Arm in Arm mit dem Partner spazieren gehen kann, ohne dass so etwas gesagt wird wie ‘Wir haben ja nichts gegen Schwule, aber müssen sie das so offen zur Schau stellen?'”

Dazu komme, dass viele Pflegeeinrichtungen von Kirchen getragen werden. Wo Mitarbeiter entlassen würden, wenn sie gleichgeschlechtliche Partner haben, da seien Schwierigkeiten vorprogrammiert. “Religion ist immer noch ein Hauptfaktor für Homophobie”, sagt Ulrich.

Erste Pilotwohnprojekte für alte Schwule

Dabei ist politisch etwas ganz anderes gewollt: “Generell sollte gelten, dass alle Einrichtungen alle Pflegebedürftige ungeachtet ihrer kulturellen Herkunft, religiösen Anschauung oder sexuellen Orientierung willkommen heißen”, heißt es aus dem Sozialministerium des Landes. Und so steht es auch im neuen rot-grünen Pflegegesetz.

Derweil laufen etwa in Frankfurt mit dem “AltenpfleGayheim”, in Köln mit der Villa Anders und im Berliner Lebensort Vielfalt die ersten Pilotwohnprojekte für alte Schwule. Und in München gibt es eine WG von rosa Alter, einem Beratungsprojekt der Aidshilfe.

Im Südwesten dürften die ersten “Rentner-Regenbogenheime” aber noch einige Zeit auf sich wartenlassen. Bei der Arbeiterwohlfahrt und der Diakonie heißt es, es gebe keine Nachfragen nach Alterspflege für Schwule. Deshalb fänden sich auch keine entsprechenden Angebote.

Die “grauen Schwulen” aus Stuttgart denken mit Unbehagen an einen gemeinsamen Ausflug in ein Seniorenheim zurück. Die Leute hätten kaum ein Wort miteinander gewechselt, berichten sie. Wenn doch, dann ging es um Kinder und Enkelkinder. Und genau die sind für manche Schwule ein heikles Thema. Den einen fehlt die Familie, die sie nie haben durften oder die den Kontakt abgebrochen hat. Die anderen sind glücklich, ihren Lebensabend allein mit ihrem Partner zu verbringen.

Illusionen machen sich die Männer dabei keine, wie der 73-jährige Achim erklärt: “Ich fange jetzt schon an, aufzuräumen und überlege, ob eine kleinere Wohnung für uns nicht besser wäre. Mein Partner ist jünger als ich, ich werde bestimmt der erste sein, der geht.”

Von Marie-Hélèn Frech (dpa), 18. Dezember 2014