Morbus Sudeck: Wenn Schmerzen Alltag sind

Morbus Sudeck: Wenn Schmerzen Alltag sind

Neben Medikamenten ist besonders die Physio- und Ergotherapie wichtig, um die Funktion wiederherzustellen. © picture alliance/chromorange

Die Krankheit, die auch Komplexes Regionales Schmerzsyndrom genannt wird, bedeutet vor allem heftige Schmerzen. Sie ist aber nicht leicht zu erkennen. Betroffenen würde es helfen, mit ihren Schmerzen von Beginn an ernst genommen zu werden.

Schmerzen sind für Frank Bergs alltäglich – er ist frühberentet, muss Medikamente einnehmen, für längere Strecken außerhalb des Hauses benötigt er einen Rollstuhl. Er hat das Komplexe Regionale Schmerzsyndrom (Complex Regional Pain Syndrome – CRPS), in Deutschland auch Morbus Sudeck genannt. Noch vor sechs Jahren war er international als Manager in der Medizinbranche tätig. Alles ändert sich, als er 2011 im Urlaub beim Fußballspielen umknickt – Sprunggelenkfraktur, er muss sofort operiert werden. Nach der Operation in Deutschland verläuft die Heilung dann nicht wie geplant.

Sein Fuß schwillt zu einem Elefantenfuß an, wie er es selbst beschreibt, die Schmerzen werden unerträglich: „Stellen Sie sich vor, Sie wollen ihren Fuß lieber mit einer Axt abhacken, als die Schmerzen länger zu ertragen.“ Er kann weder eine Socke tragen, geschweige denn auftreten. In seinem Fuß tobt eine vom Nerven ausgehende Entzündung – er ist warm, gerötet und glänzt. Zudem wachsen plötzlich mehr Haare auf der Haut. Bergs spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist, doch sein Arzt vertröstet ihn, er müsse Geduld haben. Erst als er eigenständig einen Radiologen aufsucht, erhält er die Diagnose.

Theoretisch kann die Krankheit jeden treffen

„CRPS tritt in der Regel nach einem Trauma auf. Also nach einer Stauchung, einem Bruch oder einer Operation an den Extremitäten“, sagt Professor Frank Birklein. Er leitet die Sektion Periphere Neurologie und Schmerz der Universitätsmedizin in Mainz. Die akute Form des CRPS äußert sich wie eine Entzündung.

Langfristig verändern sich auch die entsprechenden Repräsentationszonen im Gehirn. „Man kann sich das wie eine Art Verklumpung der Nerven vorstellen“, erklärt Professor Matthias Karst, Leiter der Schmerzambulanz an der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Patienten verlernen feine Bewegungsabläufe, die normale Hand- oder Fußfunktion geht verloren. Experten schätzen, dass weltweit von 100 000 Menschen jährlich 5 bis 26 ein CRPS nach einem Trauma oder einer Bagatellverletzung entwickeln. Theoretisch könne es jeden treffen, erklärt Birklein. „CRPS lässt sich jedoch bei Frauen über 50 Jahren etwas häufiger beobachten.“

Was viele Betroffene gemeinsam haben: einen langen, schmerzhaften Weg bis zu einer endgültigen Diagnose. „Zu Beginn lässt sich ein CRPS oft nur schwer von einem normalen Heilungsprozess unterscheiden“, sagt Schmerztherapeut Karst. Zudem gebe es nicht die eine Methode, mit der man ein CRPS eindeutig diagnostizieren kann. Und Birklein meint: „Wir müssen den Chirurgen auch die Angst nehmen, dass sie etwas falsch gemacht haben, und ihnen sagen: Schicken Sie bitte den Patienten direkt beim ersten Verdacht an eine kompetente Stelle.“

Den Bewegungsschmerz überwinden

Frank Bergs hatte zu Beginn ebenfalls einen Operationsfehler im Verdacht. Dies bestätigte sich jedoch nicht. „Ich habe einfach Pech gehabt“, meint er heute. Die Ursachen für das Komplexe Regionale Schmerzsyndrom sind nicht abschließend geklärt. Man weiß, dass es wohl eine genetische Veranlagung für die Krankheit gibt. Zudem spielen autoimmunologische Prozesse eine Rolle – ähnlich, wie es auch bei Rheuma der Fall ist. In der Folge klingt die neurogene Entzündung nach einer Verletzung nicht ab. Bereits Paul Sudeck – Namensgeber der Krankheit – beschrieb CRPS als eine entgleiste Heilentzündung. Ob die Art des Traumas einen Einfluss auf die Entstehung von CRPS hat, ist umstritten. Allerdings wird die Krankheit häufig nach einem Bruch des Unterarms beobachtet.

Für die Therapie gilt: Je früher sie beginnt, desto besser sind die Heilungschancen. „Lieber einen Patienten zu viel behandeln, als einen zu wenig“, ist daher die Devise von Karst. Andernfalls verlaufe die Krankheit häufig chronisch. Neben entzündungshemmenden Medikamenten ist insbesondere die Physio- und Ergotherapie wichtig, um die Funktion wiederherzustellen.

Bewegungsvermeidung oder Schonen halte den Schmerz eher aufrecht, so Karst. „Das bedeutet aber auch, dass man sich zu Beginn durch den Bewegungsschmerz quälen muss“, weiß Birklein. Keine leichte Aufgabe, denn die Schmerzen durch das CRPS werden als außergewöhnlich stark eingestuft.

Ärzte müssen Menschen mit ihren Schmerzen ernst nehmen

Betroffene können aufgrund dessen einen höheren Behinderungsgrad erhalten. Wie man mit einer solchen Situation umgeht, hat daher auch mit den persönlichen Vorerfahrungen zu tun. „Wir raten Betroffenen oft zu einer begleitenden Psychotherapie“, so Karst, der auch psychotherapeutisch arbeitet.

Auch Frank Bergs weiß aus Erfahrung, wie wichtig es ist, über die Krankheit zu sprechen. „Ich bin sehr dankbar über den Rückhalt in meiner Familie.“ Trotzdem war er gerade zu Beginn der Erkrankung verzweifelt auf der Suche nach anderen Betroffenen, mit denen er Informationen und Erfahrungen austauschen konnte. Da er kaum fündig wurde, entschloss er sich in Bremen eine eigene Selbsthilfegruppe zu gründen. Zum ersten Treffen kamen 35 Menschen aus ganz Deutschland. „Ich hatte das Gefühl, die haben alle nur darauf gewartet.“ Selbsthilfegruppen aus allen Teilen des Landes schließen sich nun zu einem CRPS-Netzwerk zusammen.

Das Leben von Frank Bergs hat sich durch seine Erkrankung völlig verändert. In seinen alten Job kann er nicht zurückkehren, auch heute lebt er unter Schmerzen. Mit seinen Erfahrungen engagiert er sich nun für andere Betroffene. Sein Wunsch: „Ich möchte, dass man Menschen mit ihren Schmerzen direkt zu Beginn ernst nimmt. Nur so kann verhindert werden, dass sie zu dauerhaften Schmerzpatienten werden.“

Von Mira Fricke (dpa)