Ohne Hochwasser und Maurerdekolleté: Mode für Rollstuhlfahrer

© Rollitex Berlin

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Mode für Rollstuhlfahrer? Selbst viele Betroffene wissen nicht, dass es so etwas gibt. Es ist eine Nischenbranche – mit potenziell vielen Kunden.

Eine Hose, die im Stehen klasse aussieht, verliert im Sitzen oft ihren Schick. Die Hosenbeine sehen nach Hochwasser aus, Taschen und Nähte hinterlassen hinten unangenehme Druckstellen und der Knopf geht nur mühsam auf. Marco Hopp versuchte es anfangs mit Leggins – an gewöhnlichen Hosen störte ihn vor allem das Maurerdekolleté. “Ich empfinde es als unästhetisch, wenn ich sitze und es schaut der halbe Hintern raus”, sagt der 43-Jährige aus Heidelberg, der seit einem Autounfall vor mehr als 20 Jahren querschnittsgelähmt ist. “Auch wenn ich im Rollstuhl unterwegs bin, muss das Gesamtbild immer stimmig sein.”

Schlabberhosen aus Unwissenheit

Inzwischen kauft Hopp seine Hosen bei einem Anbieter im nahe gelegenen Eberbach, der auf Mode für Rollstuhlfahrer spezialisiert ist. “In einem normalen Geschäft eine Hose zu kaufen, kommt für mich nicht infrage. Es sind stolze Preise, aber ich weiß, dass sie hier passt.” Der Markt für Rollstuhlfahrer-Mode ist übersichtlich. Rolli-Moden in Eberbach ist der nach eigenen Angaben weltweit größte Anbieter – und hat nur elf Mitarbeiter.

“Viele Rollstuhlfahrer wissen selbst gar nicht, dass es so etwas gibt”, sagt Geschäftsführer Berkay Dogan. “Deshalb sieht man auch, dass Viele Schlabberhosen tragen.” Auch dem Handel sei das Angebot kaum bewusst – trotz geschätzt rund 1,6 Millionen Rollstuhlfahrern in Deutschland.

Der Klamotteneinkauf werde für Rollstuhlfahrer schnell frustrierend, sagt Dunja Fuhrmann aus dem Vorstand des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter. Sie könnten zwar die meiste Kleidung für Nicht-Behinderte auch kaufen, die sehe dann aber häufig im Sitzen nicht gut aus und müsse aufwendig umgenäht werden. Nicht umsonst gebe es zumeist stehende Schaufensterpuppen. Bei Spezial-Anbietern vermisst Fuhrmann, die selbst im Rollstuhl sitzt, die Auswahl. “Und da findet man auch nicht immer modisch schicke Sachen.” Außerdem seien die Preise für viele zu hoch, findet die Saarbrückerin.

Mode für Rollstuhlfahrer würde vielleicht auch so manchen Menschen ohne Behinderung interessieren, glaubt der Vorsitzende des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland, Ilja Seifert. Etwa, dass der Hosenschlitz weiter nach unten gehe, das könnten auch andere Käuferschichten als Vorteil sehen. Fest steht für ihn bei diesem Thema: “Eine Lösung für alle ist schwierig. Sonst lehnen wir einen Sonderweg ab, aber bei Klamotten ist er gangbar.”

Rolli-Mode wird modischer

Kleidung für Rollstuhlfahrer in ihr Sortiment aufzunehmen, scheint für Modehäuser bislang kein Thema zu sein. Dem Modeverband GermanFashion zumindest ist nicht bekannt, dass eines seiner Mitgliedsfirmen so etwas anbietet – und er vertritt nach eigenen Angaben etwa 97 Prozent des deutschen Modemarktes.

Rolli-Moden gibt es bereits seit Ende der 1980er Jahre. Die Branche ist eine Nische geblieben, obwohl der Anbieter inzwischen Konkurrenz bekommen hat, etwa von Rollitex und Rolling Elephants. Kürzlich hat bei den Eberbachern ein junges Leitungsteam die Führung übernommen – und möchte vieles anders machen. “Die Mode ist praktisch, wird aber modischer”, sagt Geschäftsführerin und Designerin Julia Schulz. Es soll nicht gleich nach einer Hose für Rollstuhlfahrer aussehen.

Der Kniff liegt im Detail

Hinten höher geschnitten, damit die Nieren nicht frei liegen und es kein Maurerdekolleté gibt, der Reißverschluss länger, um zum Beispiel Platz für einen Katheter zu schaffen und das Umziehen zu erleichtern. Die Beinform dünner, weil Rollstuhlfahrer an den Beinen oft an Muskelkraft verlieren. Die Hosenbeine länger, damit es im Sitzen nicht nach Hochwasser aussieht. Am Hintern ohne Taschen, damit es keine Druckstellen gibt. Einfach zu öffnende Knöpfe.

Auch Designerin Vivien Schlüter aus Oldenburg macht Mode für Rollstuhlfahrer, vor allem festliche Kleidung. “Das Modebewusstsein ist durchaus auch bei Menschen mit Behinderung da”, sagt sie. In den gewöhnlichen Geschäften fänden ihre Kunden meist nur die Grundausstattung. “Sie nehmen dann einfach das, was ihnen passt und nicht das, was ihnen gefällt – und das ist nicht optimal.”

Von Christine Cornelius, (dpa)