Reizdarmsyndrom: Wenn die Verdauung verrücktspielt

© picture alliance/dpa Themendienst

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Ein paar Pillen oder Spritzen – und weg sind die Beschwerden: Dieses Prinzip funktioniert nicht bei der Therapie eines Reizdarmsyndroms. Gefragt sind Zeit, Geduld und eine Änderung der Lebensgewohnheiten.

Es ist, als wenn der Magen verrücktspielen würde. Diese ständig wiederkehrenden Bauchschmerzen, auf die sich Betroffene keinen Reim machen können. Dann diese anhaltenden Blähungen – einfach nur unangenehm. Und obendrein auch noch der Drang, von jetzt auf gleich die Toilette aufsuchen zu müssen. Wer unter solchen oder anderen Magenbeschwerden leidet, sollte keinesfalls auf Selbsttherapie setzen. „Nötig ist eine gründliche Untersuchung des Patienten, um ernsthafte Erkrankungen wie etwa Infektionen oder Darmkrebs auszuschließen“, sagt Professor Richard Raedsch. Er ist Chefarzt der Abteilung für Gastroenterologie am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden.

Mitunter stoßen Mediziner bei Laboruntersuchungen, Ultraschall oder Darmspiegelungen auf keinen organischen Befund für die Magen-Darm-Beschwerden eines Patienten. „Reizdarmsyndrom“, heißt dann in solchen Fällen häufig die Diagnose. „Wirklich gefährlich im Sinne von lebensbedrohlich oder ansteckend ist ein Reizdarmsyndrom nicht“, beruhigt der Kölner Apotheker Thomas Preis. Aber die Erkrankung, die sich auch in Verstopfung oder Durchfall äußern kann, ist lästig – und verläuft in aller Regel chronisch.

Stress und Ärger machen sich im Magen bemerkbar

Nach Angaben von Raedsch leiden 25 bis 30 Prozent der Deutschen an einem Reizdarmsyndrom. „Hieran erkranken überwiegend Frauen“, sagt er. Warum Männer seltener betroffen sind, ist wissenschaftlich noch nicht erwiesen. Was genau die Ursache eines Reizdarmsyndroms ist, ist ebenfalls unklar. „Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Psyche eine Rolle spielen könnte“, betont Mediziner und Heilpraktiker Thomas Sokollik aus Kreuztal (NRW).

Er verweist darauf, dass der Darm als Verdauungsorgan von einem Geflecht von Nerven durchzogen ist. Dieses System steht in enger Verbindung mit dem Gehirn. Stress, Ärger oder Trauer können sich bis in den Magen-Darm-Trakt bemerkbar machen und dort alles durcheinander wirbeln. „Auch bestimmte Ernährungsgewohnheiten können bei einem empfindlichen Magen Probleme bereiten“, sagt Professor Raedsch. Zumindest zeitweise ein Tagebuch zu führen, kann helfen herauszufinden, ob die Beschwerden auf eine Unverträglichkeit von bestimmten Nahrungsmitteln zurückzuführen sind oder nicht. „Manchmal sind es einfach nur Zwiebeln, bestimmte Gewürze oder Milchprodukte, mit denen der Magen-Darmtrakt nicht zurechtkommt“, sagt Sokollik. Werden diese Produkte weggelassen, dann führt dies möglicherweise zum Erfolg.

Spezielle Diäten können helfen

In einigen Fällen wird Reizdarmsyndrom-Geplagten auch eine strikte Diät auferlegt: Sie lautet Verzicht auf FODMAP. Das Kürzel steht für Fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole (Zuckeralkohole). Wissenschaftler haben entdeckt, dass FODMAP im Verdauungstrakt Probleme machen können. Diejenigen, die sich dieser Diät unterziehen, lassen in einem Zeitraum von vier bis acht Wochen alle Nahrungsmittel weg, die Fructose, Milchzucker oder Sorbit enthalten. Steinobst, Kohl und Hülsenfrüchte, aber auch Milchprodukte und Süßigkeiten werden also erst einmal vom Speiseplan verbannt.

Nach diesem ein- bis zweimonatigen radikalen FODMAP-Verzicht, nach der Patienten oft beschwerdefrei sind, beginnt eine Art Versuchsphase: Der Patient lotet aus, welche der ausgelassenen Nahrungsmittel in welchen Mengen er doch verträgt. In einem dritten Schritt wird ein individueller Ernährungsplan ermittelt, mit dem Reizdarmsyndrom-Geplagte möglichst beschwerdefrei bleiben. „Diese Diät sollte aber nur unter ärztlicher Anleitung durchgeführt werden“, betont Raedsch. Nach seinen Angaben macht sie nicht immer Sinn, da durch den radikalen Verzicht von FOPMAP in der ersten Phase dem Körper dringend nötige Nährstoffe entzogen werden.

Krämpfe lindern

Wer unter einem Reizdarmsyndrom leidet, wird es in aller Regel nicht ruckzuck wieder los. Um etwas gegen akute Symptome wie Bauchkrämpfe oder Blähungen zu tun, werden dem Patienten gezielt Medikamente wie Schmerzmittel oder krampflösende Arzneien verabreicht. „In Apotheken sind auch eine Reihe von pflanzlichen Mitteln wie Kümmel, Fenchel oder Anis in Form von Tee erhältlich“, erklärt Preis. In einigen Fällen werden auch Antidepressiva verschrieben. „Rund ein Drittel der Reizdarmsyndrom-Geplagten haben depressive Verhaltensmerkmale“, sagt Raedsch. Antidepressiva hellten nicht nur die Stimmung auf, sondern wirkten auch auf das Nervensystem im Darm.

Eine Wärmflasche auf dem Bauch kann im Einzelfall ebenfalls helfen, Schmerzen oder Krämpfe zu lindern. „Auch eine Akupunktur-Behandlung, bei der der Bauchraum unternadelt wird, führt oft zum Erfolg“, sagt Sokollik. Medikamente und eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten sind ohnehin nur ein Teil der Reizdarmsyndrom-Therapie. Hinzukommen muss oft eine dauerhafte Änderung der Lebensweise. „Das erfordert Zeit und Geduld“, betont Sokollik. Entspannungstechniken wie Yoga, Tai Chi oder eine Atemtherapie können dazu beitragen, das aus dem Takt geratene Nervensystem im Verdauungstrakt wieder auszubalancieren. „Wichtig ist, Stress abzubauen und zur Ruhe zu kommen“, erklärt Raedsch. Ein Weg dorthin kann eventuell eine Psycho- oder Verhaltenstherapie sein: „Welche Therapie die richtige ist, hängt vom Einzelfall ab.“

Von Sabine Meuter (dpa)