TV-Serie „Charité“: Zwischen Nobelpreisträgern der Medizin

Gebäude der Charité im Jahr 1888 © ard/Nik Konietzny

Gebäude der Charité im Jahr 1888 © ard/Nik Konietzny

Die traditionsreiche Berliner Charité bekommt eine eigene TV-Serie – angesiedelt im 19. Jahrhundert. Mit Sabine Thor-Wiedemann, die die Drehbücher gemeinsam mit der Grimme-Preisträgerin Dorothee Schön schrieb, sprachen wir über die Geschichte des als „Seuchenhaus für die Armen“ gegründeten Klinikums und seine berühmtesten Protagonisten.

Redaktion: Warum beginnt die Serie ausgerechnet im Jahr 1888?

Sabine Thor-Wiedemann: Die Charité wurde ja bereits 1710 gegründet. Die ganzen 300 Jahre ihrer Existenz zu verfilmen, wäre allerdings zu aufwendig gewesen. So haben wir uns auf die besonders spannende Epoche gegen Ende des 19. Jahrhunderts konzentriert. Zu der Zeit arbeiteten tatsächlich drei zukünftige Nobelpreisträger gleichzeitig an der Charité. Eine historische Starbesetzung.

Sie meinen die Ärzte Robert Koch, Emil von Behring und Paul Ehrlich.

Genau. Und dazu noch der zu dem Zeitpunkt bereits recht betagte Rudolf Virchow. Mit der Wilhelminischen Epoche hatte ich vor Beginn unserer jahrelangen Recherchen allerdings meine Schwierigkeiten.

Warum?

Anfangs verband ich mit der Zeit vor allem Kaiser Wilhelm und seine Pickelhaube. Erst nach und nach entdeckte ich, wie faszinierend diese Epoche ist.

Haben Sie ein Beispiel?

Es ist eine Zeit des Aufbruchs: Der Fortschritt in Technik und Medizin, die Emanzipation der Frau und die Arbeiterbewegung sind da nur einige Stichworte. Durch die Industrialisierung zogen immer mehr Menschen in die Stadt. Die Bevölkerung Berlins wuchs in nur zehn Jahren von rund 800.000 auf 1,9 Millionen Bewohner. Zehnköpfige Familien lebten zusammengepfercht in einem Zimmer. Viele vermieteten ihre Betten tagsüber an sogenannte Schlafburschen. Statt einer Toilette in der Wohnung gab es für sämtliche Mietparteien des Hauses ein gemeinsames Plumpsklo auf dem Hof.

Die Ärzte der Serie

rudolf_virchowDer Arzt und Politiker Rudolf Virchow (1821-1902) beschrieb als erster die Krankheiten Thrombose und Leukämie und setzte sich für die Einführung einer medizinischen Grundversorgung sowie für bessere Hygienebedingungen ein.

 

emil_von_behringDer Arzt und Immunologe Emil von Behring (1854-1917) stellte zusammen mit Paul Ehrlich erstmals ein Heilserum gegen Diphtherie her. Für seine Leistungen wurde er mit dem allerersten Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet.

 

robert_kochDer Arzt und Bakteriologe Robert Koch (1843-1910) entdeckte die Erreger von Milzbrand und Tuberkulose. Für seine Forschung erhielt er ebenfalls den Nobelpreis für Physiologie und Medizin.

 

paul_ehrlichDer Arzt und Chemiker Paul Ehrlich (1854-1915) entwickelte das erste wirksame Medikament gegen Syphilis und gilt als Begründer der Chemotherapie. Für seine Beiträge zur Immunologie erhielt auch er den Medizin-Nobelpreis.

Mehr Hygiene und erste Nobelpreise

Hygienisch klingt das nicht gerade?

Die Stadt war eine Art Keimdschungel. In den Krankenhäusern sah es auch nicht besser aus. Die Charité versorgte damals rund 4000 Patienten im Jahr, die meisten blieben viele Wochen in der Klinik. In den Krankenzimmern standen bis zu 20 Betten, darin lagen geschwächte Patienten, von denen viele hoch ansteckend waren. Es gab kein fließendes Wasser und der Abort befand sich im Holzschrank. Und all das unter dem strengen Regiment der Diakonissinnen.

Wie meinen Sie das?

Die geistlichen Schwestern in der Charité waren streng religiös. Für viele der Kranken gab es statt einer medizinischen Behandlung heiße Hühnerbrühe und unausweichlich Gebete. Wer es sich leisten konnte, ließ sich damals zu Hause behandeln.

Wie kann man unter solchen Voraussetzungen zu einem Nobelpreis kommen?

Diese Umstände waren für alle Forscher die Normalität. Vielleicht sogar der notwendige Anreiz. Virchow kämpfte zu dem Zeitpunkt ja schon lange für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Armen sowie für Licht und Sauberkeit. Auch die damaligen Krankenkassen forderten Maßnahmen zur Verbesserung der Hygiene. Zu der Zeit begann der Siegeszug der Naturwissenschaften und der modernen Medizin – auch das macht sie so spannend.

Bieten die historischen Figuren denn genug Stoff?

Mehr als genug! Nehmen wir Robert Koch: Mit 45 verliebte er sich in eine 17-Jährige und ließ sich scheiden – damals ein absoluter Skandal. Oder Paul Ehrlich. Er war Jude und bekam den erstarkenden Antisemitismus im Deutschen Reich am eigenen Leib zu spüren. Emil von Behring hatte hingegen mit sich selbst zu kämpfen: Er stammte aus einfachen Verhältnissen, war manisch depressiv und hatte starke Minderwertigkeitskomplexe.

Und bootete nebenbei seinen Kollegen Paul Ehrlich aus…

Stimmt. Von Behring bekam den Nobelpreis für die Erfindung eines Mittels gegen Diphtherie. Ehrlich war zwar maßgeblich an der Entwicklung beteiligt, aber als Behring die Herstellungslizenz für viel Geld an das Chemieunternehmen Hoechst verkaufte, sah Ehrlich davon praktisch nichts.

Pathologie Charité, Alicia von Rittberg als Ida Lenze und Ernst Stötzner als Virchow © ard/Nik Konietzny

Pathologie Charité, Alicia von Rittberg als Ida Lenze und Ernst Stötzner als Virchow © ard/Nik Konietzny

Die Charité als historische Medizin-Soap

Das klingt nach Drama.

Finanziell konnte Ehrlich das verkraften. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie. Trotzdem stand Behrings Verrat zeitlebens zwischen den beiden. Allerdings erhielt Ehrlich später ja auch den Nobelpreis für Medizin, für seine bahnbrechenden Entdeckungen zum Immunsystem.

Und was war mit Robert Koch?

Er entdeckte nicht nur den Erreger der Tuberkulose, sondern auch das vermeintlich passende Heilmittel: Tuberkulin. Eine Weltsensation, schließlich starben zu der Zeit Zehntausende an der Krankheit.

Die TV-Serie „Charité“

Das Drehbuch für die Serie schrieben Sabine Thor-Wiedemann und Dorothee Schön. Die „Charité” ist eine Produktion der UFA FICTION, Produzenten sind Nico Hofmann, Benjamin Benedict und Markus Brunnemann; Regie führte Sönke Wortmann. Gezeigt wird die Serie ab dem 21. März 2017 in der ARD. Geplant sind sechs Folgen mit einer Dauer von jeweils 45 Minuten. Die Hauptdarsteller sind: Alicia von Rittberg (Ida Lenze), Maximilian Meyer-Bretschneider (Georg Tischendorf), Justus von Dohnányi (Robert Koch), Matthias Koeberlin (Emil von Behring), Christoph Bach (Paul Ehrlich) und Ernst Stötzner (Rudolf Virchow). Eine ausführliche Web-Reportage mit Making-of, Interviews und Hintergründen finden Sie hier.

Das machte ihn zum Star.

Absolut. Kochs Konterfei wurde sogar auf Teller und Bierdeckel gedruckt. Bis zu dem Tag, an dem Virchow entdeckte, dass das Tuberkulin nicht wirkt.

Drei ehrgeizige Wissenschaftsstars und Virchow als „medizinischer Gottvater der Charité“ – und fertig ist die historische Medizin-Soap?

Für eine gute Serie braucht es natürlich einiges mehr als das. Nicht ohne Grund spielen die besagten Herren zwar Hauptrollen, aber die weiteren Figuren sind ebenso wichtig: die junge Hilfswärterin Ida, der Medizinstudent Georg, die Diakonissen-Oberin Martha…

Sind das reale Personen?

Nein. Trotzdem sind die Charaktere spannend. Nehmen wir Ida. Sie landet mit einer akuten Blinddarmentzündung in der Charité. Geld hat sie nicht, also muss sie die Behandlungskosten im Krankenhaus abarbeiten. Dabei entdeckt sie ihre Leidenschaft zur Medizin und verliebt sich in einen der Ärzte.

Sabine Thor-Wiedemann © privat

Sabine Thor-Wiedemann © privat

Ein Aschenputtel unter Nobelpreishelden?

Ida ist keine eindimensionale und erst recht keine schwache Frau. Außerdem erzählt die Art, wie ihre Figur angelegt ist, viel über die Rolle der Frau in der Kaiserzeit. Aber klar: Wir haben nicht das Drehbuch für einen Dokumentarfilm geschrieben. Unsere Serie soll unterhalten und die Zuschauer emotional berühren. Die Lebensumstände der Zeit vermitteln wir nicht nur über Fakten, sondern vor allem über unsere Figuren.

 

 

Bildquelle: History of Medicine (NLM), Wikimedia Commons; Wellcome Library, London, Wikimedia Commons, lizenziert unter CC BY 4.0