Was hinter homöopathischen Arzneien steckt

© picture alliance / blickwinkel

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Tausende Deutsche vertrauen auf Kügelchen, wenn sie krank werden. Doch dass homöopathische Arzneien besser wirken als Placebos ist bisher nie bewiesen worden. Warum sie vielen Menschen trotzdem helfen und was bei ihrer Anwendung zu beachten ist.

Eine starke Wirkung ohne unerwünschte Nebenwirkungen – davon träumen viele Patienten. Es gibt Arzneien, die das tatsächlich versprechen: winzige Kügelchen, sogenannte Globuli. Streng genommen enthalten sie meist gar keinen Wirkstoff. Trotzdem hat weit mehr als jeder zweite Deutsche einer repräsentativen Allensbach-Umfrage zufolge schon mal homöopathische Arzneien – in Form von Kügelchen oder Tropfen – geschluckt. Neun von zehn Anwendern berichten, dass sie zumindest manchmal geholfen haben – gegen Erkältung, Schmerzen, sogar schwere chronische Krankheiten. Wie lässt sich das erklären? Und warum vertrauen so viele Menschen auf Homöopathie?

Die Idee hinter homöopathischen Arzneien stammt von Samuel Hahnemann, der im 19. Jahrhundert als Arzt arbeitete. Er war der Ansicht, man sollte Krankheiten nicht heilen, indem man dem Symptom – zum Beispiel Fieber – etwas entgegensetzt. Statt kalter Wadenwickel behandelte er den überhitzten Körper mit einem Extrakt aus der Tollkirsche. Er wusste, dass ihr Gift selbst fieberähnliche Symptome auslösen kann. „Ähnliches mit Ähnlichem behandeln – so funktioniert Homöopathie kurz gesagt“, erklärt Roger Rissel aus dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie.

Die Energie des Wirkstoffs soll auf das Wasser übergehen

Um dem Patienten nicht zu schaden, wird der Wirkstoff allerdings stark verdünnt. Dafür nimmt man zum Beispiel eine Tinktur aus der Tollkirsche und gibt neunmal so viel eines Ethanol-Wasser-Gemisches dazu. Anschließend wird das Fläschchen mit der Substanz zehnmal zum Beispiel auf einen Moosgummiblock geklopft. Dieser Vorgang nennt sich „Verschütteln“. Die nun entstandene sogenannte Potenz heißt D1. Kommen weitere neun Teile Wasser hinzu, ergibt sich die Potenz D2 – und so weiter. Am Ende wird die Essenz zum Beispiel zu Kügelchen oder Tropfen verarbeitet. Homöopathen arbeiten mit Potenzen bis zu D 1 Million. Darin ist längst kein Wirkstoff mehr nachweisbar.

Homöopathen gehen aber davon aus, dass durch das „Verschütteln“ die Energie des Wirkstoffs auf das Wasser übergeht. Beweisen konnte das bisher niemand. Trotzdem verkaufen Apotheken jedes Jahr homöopathische Arzneien im Wert von mehr als 500 Millionen Euro. Tausende Ärzte und Homöopathen in Deutschland behandeln ihre Patienten mit Globuli.

Natalie Grams war eine von diesen Ärztinnen. Sie hat Medizin studiert und jahrelang als Homöopathin gearbeitet. Dann wollte sie ein Buch darüber schreiben, wie homöopathische Mittel wirken, und befragte dafür einige Wissenschaftler. Das Ergebnis war ernüchternd: „Jeder dieser Wissenschaftler hat mir versichert, dass beim Verdünnen etwas verloren geht, auch dann, wenn wir dabei schütteln“, sagt sie. Trotzdem hat sie die Erfahrung gemacht, dass Globuli manchmal tatsächlich wirken. Eine mögliche Erklärung dafür liefert Professor. Manfred Schedlowski von der Universität Duisburg-Essen. Er ist einer der bekannten deutschen Placeboforscher und sagt: „Homöopathie wirkt über einen Placeboeffekt.“

„Manche Erkrankungen müssen schulmedizinisch behandelt werden“

Wenn jemand homöopathische Arzneien einnimmt, erwartet er, dass sie wirken – zumindest ist er gespannt, ob sie es tun. Diese Erwartungshaltung allein ist schon in der Lage, Beschwerden zu lindern, erklärt Schedlowski. Hinzu kommt das, was der Forscher „Qualität der Kommunikation zwischen Arzt und Patient“ nennt. Homöopathen nehmen sich in der Regel viel Zeit für ihre Patienten. Ein erster Termin kann schon mal weit länger als eine Stunde dauern. „Die Empathie, die dem Patienten dabei entgegengebracht wird, macht auch einen Teil der sogenannten Placeboantwort aus.“ Und schließlich geht der Mensch davon aus, dass das, was schon einmal gewirkt hat, wieder wirkt.

Alle drei Aspekte – Erwartung, Kommunikation und Lernprozess – erzeugen neurochemische Veränderungen im Gehirn, die man in einem Hirnscan sogar sehen kann. „Diese Veränderungen werden an die Organe weitergeleitet“, sagt Schedlowski. Wenn er von einer Placeboantwort spricht, dann meint er also nicht, dass Globuli nicht wirken. Sondern nur, dass der Effekt nicht auf dem angeblich enthaltenen Wirkstoff beruht. Übrigens gilt das nicht nur für homöopathische Arzneien. „Auch die Wirkung von anderen Medikamenten scheint durch diese Mechanismen beeinflusst zu werden“, sagt Schedlowski. So gesehen wäre Homöopathie also angewandte Placebomedizin.

Homöopath Rissel bestätigt zwar, dass der Placeboeffekt eine gewisse Rolle spielt. Allein damit lasse sich die Wirkung aber nicht erklären: „Ich bin sicher, dass es auch eine pharmakologische Wirkung gibt“, sagt er. Einen Effekt, der sich bisher nur nicht richtig nachweisen lasse. Trotzdem sollten Patienten seiner Ansicht nach die Grenzen dessen, was Homöopathie leisten könne, anerkennen. „Manche Erkrankungen müssen schulmedizinisch behandelt werden“, betont er. Produziert der Körper zum Beispiel nicht ausreichend Schilddrüsenhormone, können Globuli sie nicht ersetzen.

Die Patienten fühlen sich ernst genommen

„Auch wenn es um schwere Erkrankungen wie Krebs geht, ist die alleinige Behandlung mit Homöopathie reine Scharlatanerie“, ergänzt Professor Josef Beuth, Direktor des Instituts zur wissenschaftlichen Evaluation naturheilkundlicher Verfahren in Köln. Beschwerden wie leichtes Kopfweh oder Bauchschmerzen mit Globuli selbst zu behandeln, hält er aber für unbedenklich. Wo kein Wirkstoff enthalten ist, gebe es schließlich auch keine unerwünschten Nebenwirkungen. In den USA prüft die Arzneimittelbehörde FDA gerade einige Todesfälle durch Homöopathie. In Deutschland werde die Sicherheit der Arzneien aber streng kontrolliert, teilt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit.

Natalie Grams gibt heute niemandem mehr Kügelchen. „Wie könnte ich das machen, wenn ich selbst gar nicht mehr daran glaube?“ Gestorben ist die Homöopathie für Grams allerdings nicht. „Ich glaube, dass im therapeutischen Setting der Homöopathie viel Potenzial steckt.“ Sie ist überzeugt, dass die magische Aura, die diese Form der Heilkunde umgibt, bei vielen Menschen einen Nerv trifft.

Viel wichtiger aber sei, was auch Placeboforscher Schedlowski betont hat: Beim Homöopathen fühlen sich viele Menschen ernst genommen. „Der größte Fehler, der in unserem Gesundheitssystem begangen wurde, war die Abschaffung des Sprechzimmers“, sagt Grams. Um Krankheiten korrekt zu diagnostizieren und zu behandeln, brauche jeder Arzt vor allem eines – Zeit.

Von Teresa Nauber (dpa)