Margrit Langenbuch kann nichts hören und fast nichts sehen. Ohne Assistenten könnte sie ihr Leben kaum meistern. Sie und viele andere Betroffene wünschen sich mehr Aufmerksamkeit für die Erkrankung.
Wenn die Klingel in Margrit Langenbuchs Wohnung schellt, dann hört sie das nicht. Auch die Signale ihrer Licht-Klingel neben der Tür kann sie inzwischen nicht mehr sehen. Die 65-Jährige ist taubblind. Von Geburt an gehörlos, ist auch ihre Sehkraft über die Jahre immer weiter bis auf zwei Prozent zurückgegangen. Langenbuch spürt die Klingel aber. Über ein kleines, brummendes Gerät in ihrer Hosentasche.
Freundlich, aber wortlos begrüßt sie ihre Besucher. Ihr Blick vermag nur deren Umrisse zu erfassen. Um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, braucht sie Unterstützung. Etwa von Taubblindenassistentin Claudia Preißner. Seit fast fünf Jahren assistiert sie der heute 65-Jährigen. In Gesprächssituationen übersetzt sie.
Diagnose: Röhrensichtigkeit
Früher funktionierte das mit Gebärdensprache, die Zeichen kann Langenbuch aber nicht mehr erkennen. Heute geht das so: Claudia Preißner tippt Fragen an die taubblinde Frau über die Laptoptastatur ein. Eine Zeile ist dann so groß wie ein Viertel des Bildschirms. Das kann die 65-Jährige noch lesen. Langenbuchs schwer zu verstehende Aussagen übersetzt die Assistentin simultan. Langenbuch ist mit sechs Jahren an die Gehörlosenschule in Dortmund gekommen, dort hat sie sprechen gelernt. Da sie aber nie gehört hat, wie ein Wort ausgesprochen wird, können ihr nur geübte Ohren folgen.
300 Menschen, die weder hören noch sehen können, leben allein in Nordrhein-Westfalen. „Das sind aber nur die, von denen wir wissen“, erklärt Preißner von der Taubblindenassistenz. Der Förderverein für hör- und hörsehbehinderte Menschen in Recklinghausen schätzt, dass es 1900 Menschen mit starker Hörsehbehinderung in NRW gibt. Das Sozialministerium des Landes nennt die gleiche Zahl.
Seit 2008 wurden in dem Programm in Recklinghausen in sieben Lehrgängen 95 Assistenten ausgebildet. Dennoch gebe es noch immer einen großen Mangel an Assistenten, sagt Preißner.
Bei Langenbuch wurde die Sehbehinderung früh festgestellt. Ein Klassenlehrer bemerkte in den ersten Jahren, dass das junge gehörlose Mädchen immer öfter Sachen übersah und stolperte. Diagnose: Röhrensichtigkeit. Als schaue man durch ein Schlüsselloch, erklärt Preißner. Und die Sehkraft verschlechterte sich langsam, aber stetig weiter. Auch jetzt noch. Was, wenn sie irgendwann gar nichts mehr sieht? „Davor habe ich keine Angst, nur ein etwas mulmiges Gefühl“, sagt Langenbuch. Noch kann sie die Uhrzeit auf dem übergroßen Wecker lesen.
Viele Taubblinde werden falsch versorgt
Menschen, die nichts hören und überhaupt nichts mehr sehen können, kommunizieren über ein Handflächen-Alphabet, bei dem Buchstaben mit dem Finger in die Hand gemalt werden. Oder sie können die Braille-Schrift lesen.
Viel zu wenige Menschen wüssten überhaupt etwas von der Behinderung Taubblindheit, sagt die 65-Jährige. Ein Umstand, gegen den Irmgard Reichstein seit bald sieben Jahren kämpft. Sie ist die Gründerin und Vorsitzende der Stiftung „Taubblind leben“ in Köln. „Dass diese Behinderung zu unbekannt ist, hat schlimme Folgen für viele Betroffene“, sagt Reichstein.
Es gebe Taubblinde, die in völlig falschen Einrichtungen untergebracht seien. Im Jahr 2011 hatte sie einen taubblinden Mann ausfindig gemacht, der 50 Jahre lang unter geistig Behinderten gelebt hatte.
Langenbuch ist über ihre Krankheit nicht traurig. Sie liest gerne, derzeit ein Buch über das Weltall von Stephen Hawking. Mit Vergrößerung, natürlich. Nur eines wünscht sie sich manchmal doch: Musik hören zu können.
Von Nele Dohmen (dpa)