Vor 20 Jahren waren Unterstützungspumpen für Herzkranke eine Notlösung. Immer weniger Spenderorgane haben sie zu einer Langzeittherapie werden lassen – zu der es immer neue Ideen gibt.
Harald Becker hat viel Herz – allein schon medizinisch gesehen. In seiner Brust schlägt sein eigenes, dazu kommen zwei eingepflanzte künstliche Pumpen. Damit ist der 66-jährige Thüringer einer der wenigen Menschen weltweit, die mit drei Herzen leben. Am Anfang war das eine Notlösung. Doch inzwischen bekommen auch andere schwer herzkranke Patienten diese Chance, obwohl das künstliche „Doppelherz“ noch gar nicht offiziell zugelassen ist.
„Mein Herz war so schwach, dass ich kaum noch atmen konnte“, erinnert sich Harald Becker. Bohrwerksdreher war er früher, dann erlitt er einen schweren Herzinfarkt. Eine Grippe hätte ihn später beinahe umgebracht. Nun hat er es sich in seinem Gärtchen vor einem Neubaublock in Gera bequem gemacht. Er erinnert sich an zwölf Operationen und fünf lange Monate im Krankenhaus. Doch er weiß auch: Ohne all das läge er jetzt nicht unter seinem Sonnenschirm, sondern auf dem Friedhof.
Durch das bessere Rettungswesen gibt es weniger hirntote Patienten
Vielleicht hätte Harald Becker früher eine Chance auf eine Herztransplantation gehabt. Bei Mitte 60 liegt die Altersgrenze. Noch vor 20 Jahren gab es für Deutschland mehr als 500 Spenderherzen im Jahr, die Verteilung verlief oft großzügiger als heute. Inzwischen gibt es jährlich nur noch rund 300 Spender für ein Herz.
Für Thomas Krabatsch, Oberarzt am Deutschen Herzzentrum, hat das nicht allein mit mangelnder Spendenbereitschaft oder dem Organspendeskandal zu tun, bei dem auch das Herzzentrum ins Visier der Ermittler geriet. „Unsere Fahrzeuge werden immer sicherer und unser Rettungswesen immer besser“, sagt er. Das führe dazu, dass nach Unfällen weniger hirntote Patienten in Kliniken liegen – und damit weniger potenzielle Spender. Der Arzt sieht das als positive Entwicklung. „Jeder Unfall ist eine Drama für den Betroffenen und seine Angehörigen“, sagt er.
Krabatsch ist Herzchirurg und Experte für Unterstützungspumpen. Dabei bleibt das Herz, wo es ist – aber der Herzmuskel bekommt Hilfe. Reicht ein Herzschrittmacher dafür nicht aus? „Das ist wie beim Auto“, erläutert der Mediziner. „Die Zündung nutzt nichts, wenn der Motor kaputt ist.“ Und der Motor des Körpers ist das Herz. Wenn es zu wenig Blut durch den Körper pumpt, drohen alle Organe mit Sauerstoff und Nährstoffen unterversorgt zu werden und unumkehrbar Schaden zu nehmen.
Es war der Organmangel, der zu der Erkenntnis führte, dass die Pumpen – heute nur so groß wie runde Pillendosen – mehr können als die Zeit bis zu einer Transplantation zu überbrücken. Bei manchen erwachsenen Patienten des Herzzentrums haben sie das Leben um zehn Jahre verlängert. In rund vier bis fünf von 100 Fällen können die Pumpen sogar später wieder entfernt werden. Dann hat sich das eigene Herz durch die Unterstützung erholt. Fast 100.000 Euro kostet eine Pumpe, dazu kommen die OP-Kosten und die Nachsorge.
Es gibt noch einen anderen Preis: Unter Harald Beckers Sonnenschirm stehen zwei schwarze Taschen, jede 2,5 Kilo schwer. Sie sind seine ständigen Begleiter, seine Lebensversicherung. Denn darin stecken die Steuerungseinheiten für die Pumpen und die Akkus. Etwa alle 14 Stunden muss er sie wechseln.
Ist das Herz geschädigt, leiden die Niere mit
Aus jeder Tasche ragt ein Kabel. Becker zieht sein graues Hemd hoch: Die Kabel verschwinden unter Pflastern in seinem Bauch. Durch sie bekommen die Pumpen ihre Energie. „Ich bin mobil, aber mit starken Einschränkungen“, sagt Becker. Rund 30 Kilogramm hat er schon abgenommen. Dennoch falle ihm das Laufen schwer. Selbst den kurzen Weg von der Wohnung bis zum Supermarkt fährt er lieber mit dem Auto. Und er darf nicht vergessen, jeden Tag rund ein Dutzend Tabletten zu schlucken. Blutverdünner gehören zur Therapie – lebenslang.
Trotzdem hat Becker Glück gehabt. Bei ihm waren die Muskeln beider Herzkammern mit ihrer Kraft fast am Ende. Das ist sehr selten, und normalerweise ist dann Schluss. Denn künstliche Unterstützung mit kleinen implantierbaren Pumpen gibt es bisher nur für die linke Herzkammer. Rund 1000 Patienten im Jahr bekommen nach Angaben des Herzzentrums in Deutschland eine Pumpe eingesetzt. In Beckers Fall haben die Berliner Ärzte zwei Linksherzpumpen genommen und eine einfach rechts eingesetzt. „Das ist so noch nicht zugelassen, aber die ärztliche Therapiefreiheit erlaubt uns das“, sagt Krabatsch.
Becker genießt die gewonnene Lebenszeit, trotz der Taschen, Kabel und Tabletten. „Man freut sich selbst über kleine Sachen“, sagt er. „Wenn der Nachbar klingelt und auf ein Bier rüber kommt.“ Regelmäßig geht er nun wieder zu seinen Stammtischen – mit Schulfreunden und ehemaligen Arbeitskollegen. Auch auf Reisen muss Becker nicht verzichten. In diesem Jahr war er mit seiner Frau am Genfer See. Sie wechselt ihm auch regelmäßig die Verbände. Denn an der Stelle, an der die Kabel in seinen Körper führen, hat er dauerhaft offene Wunden. Das ist nicht ungefährlich – sie können eine Pforte für Bakterien sein.
Thomas Krabatsch findet es richtig, dass Krankenkassen sehr genau prüfen, wer die teuren Pumpen bekommt. Weniger glücklich ist er darüber, dass Patienten oft erst so spät kommen. Er sieht die Ursache auch bei den Traditionen der Kardiologen. Viele versuchten, bei ihren Patienten mit Schrittmachern, neuen Herzklappen, Stents oder Medikamenten alle möglichen Therapieformen auszuschöpfen.
„Das wird in Deutschland einfach zu weit getrieben“, urteilt Krabatsch. Wenn das gesamte Herz schwer geschädigt sei, nütze Stückwerk wenig. Vor allem, weil die anderen Organe, zum Beispiel die Niere, mitleiden. „Was nützt es einem Patienten, wenn er auch noch zur Dialyse muss?“
„Der Mensch fliegt zum Mond. Da kann er doch wohl auch implantierbare Akkus bauen“
Je früher Patienten kommen, desto risikoärmer sei das Einpflanzen der Pumpen, sagt Krabatsch. „Es reicht ein acht Zentimeter langer Schnitt zwischen den Rippen.“ Ziemlich enttäuscht ist der Mediziner von Forschung und Entwicklung der Pumpen für Erwachsene in den USA. Obwohl es möglich sei, Akkus einzupflanzen und über Impulse von außen durch die Haut aufzuladen, passiere in dieser Richtung im Moment nichts. Dabei seien gerade die Kabel ein großes Risiko für Infektionen. „Der Mensch fliegt zum Mond. Da kann er doch wohl auch implantierbare Akkus bauen“, findet Krabatsch.
Für Harald Becker könnten neue Techniken zu spät kommen. Wie viel Lebenszeit ihm mit Hilfe seiner Pumpen noch vergönnt ist, weiß er nicht. „Die Ärzte haben mit diesem System noch keine Langzeiterfahrung. Und mit der doppelten Ausführung schon gar nicht“, sagt er. Auch Mediziner Krabatsch will in Patienten keine übertriebenen Hoffnungen wecken. Er sagt ihnen, dass es vielleicht zwei Jahre mehr sind oder drei. „Aber ich habe noch keinen Patienten gehabt, der gesagt hat: Das will ich nicht, das ist mir zu wenig.“
Von Andreas Hummel (dpa) und Ulrike von Leszczynski (dpa)