“Die Zuweisung von Patienten ist illegal”

© picture alliance/dpa

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Immer noch kassieren manche Ärzte für die Vermittlung von Rezepten an ein Sanitätshaus oder eine Apotheke. Aus Sicht von Stephan Longard, Justiziar bei der OTB GmbH & Co. KG in Berlin, ist das alles andere als ein Kavaliersdelikt. Er fordert eine bessere Aufklärung der Patienten und ein konsequenteres Handeln – insbesondere von den Krankenkassen.

Redaktion: Was ist falsch daran, wenn ein Arzt seinem Patienten sagt, wo er sein Rezept einlösen soll?

Stephan Longard: Jeder Patient soll sich seinen Versorger grundsätzlich selbst aussuchen, ob es nun um ein Sanitätshaus oder um eine Apotheke geht. Dieses sogenannte Wahlrecht ist gesetzlich festgeschrieben. Ein Arzt sollte seinem Patienten ausnahmsweise nur dann eine Empfehlung geben, wenn er danach gefragt wird.

Ist das nicht etwas kleinkariert?

Üblicherweise schenken wir unserem behandelnden Arzt ein besonderes Vertrauen. Wenn er uns also sagt: “Gehen Sie doch zum Sanitätshaus Wolkentraum”, dann tun wir das für gewöhnlich. Irgendwie ist es ja auch bequem: Wir brauchen nicht zu recherchieren und wir sparen uns die Abwägung zwischen verschiedenen Anbietern. Nur vom Wahlrecht bleibt nicht viel übrig.

Aber wenn die Patienten ihr Wahlrecht gar nicht interessiert?

Das sollte es aber. Die Wahlfreiheit besteht aus gutem Grund: Wenn Ärzte über den Anbieter entscheiden, wächst die Gefahr, dass sie sich dafür bezahlen lassen. Über die Wahl des Sanitätsfachgeschäfts oder der Apotheken entscheiden dann nicht die Kundenzufriedenheit und Leistungsqualität, sondern wer dem Arzt unter der Hand das meiste zahlt. Dass es hier nicht um das Wohl des Patienten geht, liegt auf der Hand.

Können Sie das konkret machen?

Nehmen wir die Versorgung mit einem individuell gefertigten Hilfsmittel, etwa orthopädischen Schuheinlagen. Im Sanitätsfachgeschäft muss der Fuß richtig vermessen werden. Dann wird das Produkt in einer Fachwerkstatt exakt geformt oder beschliffen, kommt zurück in die Filiale und wird dort dem Patienten mit einer Erläuterung zur Benutzung übergeben. In diesen Prozess muss der Leistungserbringer investieren: in die Mitarbeiter, die Maschinen, das Material. Dafür bekommt er Geld von der Krankenkasse, nicht um damit quasi Rezepte einzukaufen.

Und wenn der Arzt direkt um eine Empfehlung gebeten wird?

Das geht natürlich. Aufgrund seiner Beratungs- und Fürsorgepflicht muss er jedoch nach bestem Wissen und Gewissen antworten. Deshalb sollte er am Besten immer angeben, wieso er gerade den genannten Anbieter empfiehlt. Maßstab ist die transparente Information. Diese Transparenz halten allerdings nicht alle Ärzte ein. Vielleicht, weil sie es einfach lästig finden, vielleicht aber auch, weil sie sich für die Vermittlung von Rezepteinlösungen honorieren lassen. Die Leidtragenden sind wir, die Patienten, aber auch die sauber arbeitenden Sanitätsfachhändler, Werkstattbetreiber oder Apotheker, denen ein Teil ihrer Kunden auf diese Weise verloren geht.

Stephan Longard

Stephan Longard

Gibt es dazu eigentlich Zahlen?

Da wir hier nicht mal mehr in einer Grauzone sind, sondern in der Illegalität, gibt es natürlich keine Daten. Und spekulieren will ich nicht. In jedem Fall ist das für alle Unternehmen, die sich fair dem Wettbewerb stellen, wirklich spürbar.

Wer müsste hier tätig werden?

Ich denke, hier stehen vor allem die Krankenkassen in der Pflicht.

Warum gerade die Krankenkassen?

Ein Sanitätshausbetreiber hat durchaus ein Gefühl dafür, wenn aus einer bestimmten Praxis weniger oder gar keine Verschreibungen mehr ankommen. Vor allem, wenn das abrupt passiert. Objektiv beurteilen können das aber nur die Krankenkassen. Sie verfügen über die Daten aller Beteiligten. Verordnet der Arzt einfach nur anders? Werden die Rezepte bei einem anderen Leistungserbringer eingelöst, obwohl der vielleicht weiter von der Arztpraxis entfernt ist? Diese Fragen kann nur die Krankenkasse klären.

Was unternimmt eine Kasse, wenn sie unerlaubte Zuweisungen entdeckt?

Was den Arzt angeht, informiert die Krankenkasse die für Vertragsärzte zuständige Landesärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung. Diese können empfindliche Strafen verhängen, bis hin zum Berufsausübungsverbot. Bei Sanitätshäusern und Apotheken können die Krankenkassen so weit gehen, ihre Versorgungsverträge aufzukündigen.

Was heißt das in der Praxis?

Es bedeutet, dass der Anbieter – zum Beispiel ein Sanitätshaus – dann keine Hilfsmittel für Versicherte der Krankenkasse mehr abgeben darf. Das ist die schärfste Sanktion bei solchen Verstößen. Im Einzelfall muss natürlich entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprüft werden, was im jeweiligen Fall angemessen ist.

Wieso gibt es bei den Beteiligten kein Unrechtsbewusstsein?

Honorare für Rezeptvermittlungen sind erst vor wenigen Jahren sozialgesetzlich verboten worden. Entsprechend verbreitet waren solche Zahlungen. Bei manchen Ärzten ist dadurch eine regelrechte Erwartungshaltung entstanden. So etwas zu verändern, dauert oft eine gewisse Zeit. Es braucht mehr Aufklärung bei allen Beteiligten – aber sicher auch klare Zeichen gegenüber schwarzen Schafen. Wer keine Konsequenzen befürchten muss, hat auch keinen Grund, sein Verhalten zu ändern.