„Fotografieren ist Vertrauenssache”

© Nicola Walsh

© Nicola Walsh

Nicola Walsh stammt aus Wales, ist freischaffende Fotografin und lebt und arbeitet seit 2011 in Berlin. In dieser Zeit hat sie auch Menschen mit geistiger Behinderung fotografiert. Uns erzählt sie, wie sie die Arbeit erlebt hat.

Redaktion: Ihre Fotos wirken oft sehr intim – selbst die Bilder, auf denen nur Gegenstände abgebildet sind. War es schwierig, diese Nähe herzustellen?

Nicola Walsh: Überhaupt nicht. Egal, welche geistige Behinderung die Menschen hatten – kaum jemand hatte Berührungsängste. Ich konnte sie alles fragen und wurde in der Regel sehr vertrauensvoll aufgenommen. Das war erfrischend und hat mich ehrlich gesagt selbst überrascht.

Woher kam dieses Vertrauen?

Ein Großteil derjenigen, die ich fotografiert habe, hatte das Down-Syndrom – und das sind ja bekanntlich sehr offene Menschen. Zudem lebten viele schon recht lange im betreuten Wohnen. Sie kochen gemeinsam, gehen gemeinsam zur Arbeit. Jeder hat seinen Platz, seine Aufgabe. Ich glaube, das mir entgegengebrachte Vertrauen entstammt auch dieser behüteten Struktur.

Und als Sie anfingen zu fotografieren, blieb die Offenheit?

Größtenteils schon. Einige wurden allerdings auch unsicher. Die Situation, jemandem mit Objektiv und Kamera gegenüberzustehen, war ja neu für sie. Viele wussten daher nicht, wie sie sich verhalten oder wo sie hinschauen sollen. Einige hielten sich sogar die Hände vors Gesicht.

Hatten die Fotografierten Angst vor Ihnen?

Ich glaube nicht. Mir erschien es eher wie ein Spiel. Wie eine Möglichkeit, um sich Stück für Stück an die Situation heranzutasten. Am Ende hatte ich einen ganzen Haufen von Bildern, mit denen man nichts anfangen konnte. (Lacht)

Fotografieren mit Takt

Die Fotos sind also sorgsam ausgewählt?

Auf jeden Fall! Ich möchte schöne Bilder machen. Das gilt nicht nur für Auftragsarbeiten, das ist auch mein persönlicher Anspruch. Und gerade bei solchen Arbeiten darf man das entgegengebrachte Vertrauen nicht missbrauchen. Besonders schwierig war es daher, als ich einige Menschen mit geistiger Behinderung fotografieren sollte, die schon älter waren.

 

Was hat denn das Alter damit zu tun?

Den Anblick von Menschen mit geistiger Behinderung über 65 Jahren ist man heute kaum gewohnt. Ich glaube nach der „Euthanasie“ des NS-Regimes und den Entbehrungen der Nachkriegszeit ist das die erste Generation, die es geschafft hat, fast durchgehend so alt zu werden. Das liegt natürlich auch am medizinischen Fortschritt und an den besseren Lebensbedingungen.

War es denn nur der ungewohnte Anblick, der Ihnen das Fotografieren erschwerte?

Nein. Die Personen waren ja nicht nur alt. Viele waren auch gebrechlich – einige schienen sogar dement zu sein. Ein Mann konnte sich kaum noch alleine bewegen und musste gefüttert werden. Das ist ein schwieriger Anblick – nicht zuletzt, weil ich mich entscheiden musste, wie und ob ich das überhaupt fotografieren möchte.

Aber alt zu werden gehört nun mal zum Leben dazu. Darf und sollte man es dann nicht auch zeigen?

Wenn die Person es möchte, vielleicht schon. Demenzkranke und Menschen mit geistiger Behinderung können allerdings oft nicht mehr selbst darüber entscheiden und haben in der Regel einen gesetzlichen Vormund. In gewisser Weise haben sie das Recht an ihrem eigenen Bild verloren. Es ist daher umso wichtiger, dass ich als Fotografin Verantwortung übernehme. Ich muss mir sicher sein, dass die Porträtierten sich mit den Fotos wohlfühlen.

Nicky Walsh © privat

Nicola Walsh © privat

Nicht alles zeigen

Und hat das geklappt?

Ich glaube schon! Die meisten schienen sehr zufrieden zu sein. Viele waren sogar ein bisschen stolz.

Gab es auch mal jemanden, der sein Bild nicht mochte?

Ja. Einmal habe ich eine ältere Frau fotografiert, auch sie lebte im betreuten Wohnen und hatte eine geistige Behinderung – welche genau, weiß ich nicht. Als ich sie sah, saß sie am Tisch. Vor ihr stand ein Glas Wasser. Und eigentlich schaute sie ganz zufrieden vor sich hin. Ich fotografierte sie also und als ich ihr das Bild zeigte, war ich mir sicher, dass es ihr gefallen würde. Es war wirklich schön.

Aber das tat es nicht.

Überhaupt nicht. Sie wirkte vollkommen schockiert – und das hat sie auch nicht versteckt. Den Umgang mit solch direkten Gefühlen bin ich als Fotografin gar nicht mehr gewohnt. In der Regel sind die Leute diplomatischer, wenn sie mit einem meiner Bilder unzufrieden sind.

Hatte diese unerwartet heftige Reaktion vielleicht auch etwas mit ihrer Behinderung zu tun?

Vielleicht. Aber ich glaube, das ging noch tiefer.

Wie meinen Sie das?

Auf dem Foto sah man eine alte, eine in sich gekehrte Person. Ich vermute, die Frau hat sich selbst nicht wiedererkannt. Der Mensch, den sie da sah, die Lethargie, die Hilfsbedürftigkeit, die in dem Foto mitschwang, entsprach nicht dem Bild, das sie selbst von sich hatte. Daher der Schock.

Ein Foto kann einem also Dinge zeigen, die man im Spiegel nicht sieht.

Ganz genau. In einen Spiegel schaut man ja bewusst hinein – man hat sein Bild also unter Kontrolle. Wird man hingegen unbemerkt fotografiert, kann man Seiten an sich entdecken, die man mitunter nicht kennt, vielleicht nicht kennen möchte. Ich glaube, das ging der Frau ähnlich. Ich habe das Bild dann gelöscht.

 

Information: Die oberen Arbeiten hat Nicola Walsh für den Verein Zukunftssicherung Berlin e.V. fotografiert. Die unteren drei Bilder sind im Auftrag des Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Berlin (SKF) entstanden. Aus rechtlichen Gründen kann aus diesem Projekt nur eine kleine Auswahl gezeigt werden.