Dank eines Bollywood-Films wird in Indien über Damenbinden geredet. Doch es braucht mehr als das, um Armut und ein kulturell verwurzeltes Tabu zu überwinden. Für indische Frauen geht es beim Zugang zu Intimhygiene-Produkten um ihre Gesundheit – und noch mehr.
Bollywoods neuer Filmheld heißt „Pad Man“. Er kämpft allerdings nicht mit Maske und Superkräften gegen Bösewichte, sondern hat eine Maschine entwickelt, die Damenbinden kostengünstig herstellt. Er heißt Arunachalam Muruganantham, und der Film „Pad Man“ mit dem Star Akshay Kumar in der Hauptrolle, der in diesen Tagen auch in einigen deutschen Kinos zu sehen war, erzählt seine wahre Geschichte. Murugananthams Heldentat besteht darin, seit Jahren Inderinnen Binden zugänglich zu machen, die sie sich sonst nicht leisten könnten.
Dass es allerdings sehr viele solcher Frauen gibt, hat der Film ins Gespräch gebracht – und damit zu einem Tabubruch beigetragen. Auf Instagram läuft eine „Pad Man Challenge“, an der beispielsweise Bollywood-Stars wie Deepika Padukone und Anil Kapoor teilnehmen. Sie veröffentlichen Selfies, in denen sie Binden in der Hand halten.
In den Schulbüchern kommt das Wort Vagina nicht vor
Aditi Gupta findet die „Challenge“ gut. „Es ist aber Quatsch, zu denken, dass allein ein Film oder eine solche Kampagne eine bedeutende Wirkung haben könnte“, meint die 33-Jährige. „Es geht um etwas, das tief in unserer Kultur verwurzelt ist.“
Gupta und ihr Ehemann Tuhin Paul haben die Firma Menstrupedia gegründet und unter demselben Titel im Jahr 2014 ein Comic-Buch veröffentlicht, das Mädchen über die Menstruation aufklärt. Laut Gupta wird es inzwischen von mehr als 250 Schulen und 60 Organisationen benutzt und erreicht rund 150.000 Mädchen in Indien.
„Mädchen bekommen ihre Regel in der fünften Klasse, aber im Unterricht kommt das Thema erst in der achten, neunten oder zehnten Klasse vor“, erklärt sie. „Und selbst dann überspringen Lehrer meistens das Kapitel.“ In den Schulbüchern kämen als anstößig geltende Wörter wie Vagina nicht vor. „So wird nicht einmal klar, aus welchem Körperteil das Blut kommt.“
Zu Hause lernen indische Mädchen oft nicht viel mehr als Aberglaube. Menstruierende Frauen gelten als unrein und dürfen etwa kein eingelegtes Gemüse anfassen, auf dem gemeinsamen Sofa sitzen oder religiös bedeutende Gegenstände berühren. Mancherorts, auch im Nachbarland Nepal, werden sie während ihrer Periode aus dem Haus verbannt und müssen in Hütten schlafen. Die Religion spiele eine große Rolle, sagt Gupta. Am Eingang hinduistischer Tempel stehe oft: „Schuhe, Kameras und menstruierende Frauen verboten.“
„Als ich meine erste Regel bekam, hat mir meine Mutter statt einer Binde einen Fetzen Baumwolle gegeben“, sagt Dipsita Dhar, Chefin der Studentenvereinigung SFI an der Jawaharlal-Nehru-Universität in der Hauptstadt Neu Delhi. „Der wurde nach jedem Gebrauch gewaschen und dann wiederverwendet.“ Heute kaufe ihre Mutter Binden, gehe dafür aber in weit entfernte Geschäfte, wo man sie nicht kenne. In den in Indien üblichen, kleinen Läden, wo Waren beim Verkäufer bestellt werden müssen, werden Binden in Papier eingewickelt und dann in eine schwarze Plastiktüte gesteckt, damit sie ja niemand sieht.
Die 24-jährige Dhar gehörte im vergangenen Jahr zu den Initiatoren einer Aktion, bei der zahlreiche Frauen dem indischen Finanzminister Arun Jaitley Binden mit handgeschriebenen Botschaften per Post schickten. Sie protestierten damit dagegen, dass unter der im Juli eingeführten landesweiten Steuer auf Waren und Dienstleistungen Binden mit zwölf Prozent besteuert werden – während andere, als Grundbedarf geltende Produkte wie die von verheirateten Hindu-Frauen auf der Stirn oder im Haarscheitel getragene Farbe steuerfrei sind.
„Gut 23 Prozent der Mädchen brechen die Schule ab, wenn ihre Menstruation beginnt“
Einer staatlichen Statistik zufolge nutzen in Indien nur knapp 58 Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren „hygienische“ Produkte während der Periode – in ländlichen Gegenden weniger als die Hälfte. Kosten sind laut Trisha Shetty, Gründerin der Organisation SheSays, angesichts der Armut auf dem Subkontinent der Hauptgrund dafür – den Bemühungen von „Pad Man“ zum Trotz. Mit einer Klage von SheSays gegen die Steuer auf Binden befasst sich derzeit Indiens Oberster Gerichtshof.
Zu den unhygienischen Alternativen zu Binden, mit denen sich Frauen in Indien behelfen, gehören Shetty zufolge neben Stofffetzen auch Blätter, Sand und Asche. Das führe zu Entzündungen und anderen gesundheitlichen Problemen – und habe noch weitreichendere Folgen: Fast alle Mädchen gingen während ihrer Tage nicht zur Schule, sagt Shetty. „Und 23 Prozent der Mädchen in Indien brechen die Schullaufbahn ab, wenn ihre Menstruation beginnt.“
Ein Grund ist auch Scham. Vor wenigen Monaten brachte sich eine Zwölfjährige in Südindien um, nachdem Berichten zufolge eine Lehrerin sie vor ihren Klassenkameraden gerügt hatte, weil sie ihre Schuluniform mit Blut beschmutzt hatte.
Das Tabu habe eine tiefsitzende Wirkung auf das Selbstwertgefühl indischer Mädchen, meint Gupta. „Unbewusst bringen wir als Gesellschaft unseren Mädchen bei, sich für ihre Körper zu schämen.“ Mit Folgen für ein weiteres großes Problem für indische Frauen: „Wenn ein Mädchen oder eine Frau nicht einmal über ihre natürlichen Körperfunktionen reden kann, wie soll sie dann über Gewalt an ihrem Körper sprechen?“, fragt die Menstrupedia-Gründerin. „Wenn jemand sie bedrängt, wird sie denken, sie sei selbst schuld.“
Von Nick Kaiser (dpa)