„Das nächste Virus kommt bestimmt“

Osamah Hamouda, Infektionsepidemiologe am Robert-Koch-Institut (RKI), spricht über den Zusammenhang zwischen mangelhafter Müllentsorgung und dem Zika-Virus.

© Robert Koch-Institut (RKI)

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Redaktion: Die Zika-Epidemie betrifft vor allem den Nordosten Brasiliens. Dort ist ein Großteil der Bevölkerung arm. Sind Infektionskrankheiten ein soziales Problem?

Osamah Hamouda: Krankheiten sind ganz allgemein ein soziales Problem. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes betreffen häufiger ärmere und weniger gebildete Menschen als zum Beispiel Akademiker. Infektionskrankheiten wie AIDS, Tuberkulose und Malaria sind vor allem in ärmeren Ländern ein Problem. Das Zika-Virus konnte sich in Brasilien auch deshalb so stark ausbreiten, weil man sich lange Zeit nicht um die Lebensbedingungen in den Armensiedlungen, den Favelas, gekümmert hat.

Was meinen Sie damit?

Zum Beispiel die fehlende Wasserversorgung und den Müll. In den Favelas stehen überall leere Tanks herum, um den Regen aufzufangen und Wasser zu sammeln. Dazu kommt der Müll: weggeworfene Cola-Dosen und Autoreifen. Regnet es, bilden sich darin Pfützen; für Mücken sind das die besten Brutstätten. Ob es wirklich das Zika-Virus ist, das die Mikrozephalie verursacht, also die Schädelfehlbildung der Kinder, wissen wir allerdings noch nicht mit letzter Sicherheit.

Ist die Schädelfehlbildung nicht offensichtlich?

Das schon. Nur kommt sie auch ohne Zika-Infektion vor – etwa durch andere Infektionskrankheiten, durch Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft, in Folge bestimmter Gendefekte oder als spontane Fehlbildung.

Wie können wir uns vor Infektionskrankheiten schützen?
Auf der Website www.infektionsschutz.de informiert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) über wichtige Infektionskrankheiten und erklärt, wie man sich vor ihnen schützt – etwa durch Impfungen oder Hygienemaßnahmen. Allgemeine Impfempfehlungen bietet die Ständige Impfkommission (STIKO). Bei Reisen in ferne Länder ist es nützlich, sich vorher beim Auswärtigen Amt zu erkundigen. Hier erfährt man, ob es in dem Zielland spezielle Infektionskrankheiten gibt, vor denen man sich schützen sollte.

Viele Erreger werden über Tiere übertragen

Dass in Brasilien momentan so viele Kinder mit einer Fehlbildung des Schädels geboren werden, könnte also Zufall sein?

Möglich ist, dass die Menschen durch den Verdacht sensibler geworden sind und Eltern ihre betroffenen Kinder deshalb öfter zum Arzt bringen. Dann wird die Diagnose auch häufiger gestellt. Zurzeit laufen Studien, um den Zusammenhang zwischen Infektion in der Schwangerschaft und Mikrozephalie zu sichern. Vermutlich ist es eine Mischung aus beidem.

Das Zika-Virus übertragen Mücken, bei Ebola sind es Fledermäuse, bei MERS Kamele. Vor welchen Tieren müssen wir uns als nächstes in Acht nehmen?

Das wissen wir nicht. Aber dass irgendwann ein neuer Erreger auftaucht ist sicher. HIV, SARS und MERS sind Beispiele für in den letzten Jahrzehnten neu entdeckte Viren, die über das Tierreich auf den Menschen übertragen wurden und sich dann weiterverbreitet haben. Es gibt aber auch bereits lange bekannte Erreger, die sich in neuen Bevölkerungsgruppen oder Regionen verbreiten, wie aktuell Zika.

Warum treten diese Krankheiten ausgerechnet jetzt auf?

Weil wir Menschen immer weiter in Lebensräume vordringen, in denen wir vorher nicht waren. Heute gibt es kaum einen Dschungel, den wir nicht durchquert, keine Höhle, die wir nicht erkundet, keinen Berg, den wir nicht erklommen haben. So entstehen immer wieder neue Möglichkeiten, mit für uns neuen Erregern in Kontakt zu treten. Aber auch bekannte Erreger wie die Influenzaviren können sich so verändern, dass sie große Epidemien auslösen.

In Deutschland sind wir in den vergangenen Jahren weitestgehend von ernsten Epidemien verschont geblieben. Hatten wir Glück?

Teilweise. Wir haben aber auch ein sehr gutes Gesundheitssystem und können Infektionskrankheiten relativ schnell erkennen. Außerdem ist unsere letzte große Epidemie noch gar nicht allzu lange her: Tuberkulose (TB) war vor gut hundert Jahren noch eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland.

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Durch die Globalisierung breiten sich Infektionskrankheiten schneller aus

Wie wurde die Tuberkulose damals besiegt?

Durch eine bessere Gesundheitsversorgung, durch Antibiotika und eine Veränderung der Lebensbedingungen. Heute haust in Deutschland niemand mehr zu zehnt in einer 30-Quadratmeter-Wohnung im siebten Hinterhof ohne Sonne. Durch solche beengten Wohnverhältnisse konnte sich das TB-Virus damals schnell ausbreiten.

Trotzdem steigt die Zahl der TB-Fälle in Deutschland derzeit wieder an.

Die Ursache der Ausbreitung liegt in der Beweglichkeit des modernen Menschen. In vielen Ländern in Osteuropa oder Subsahara-Afrika ist Tuberkulose nach wie vor ein Problem. Durch die Globalisierung können sich Infektionskrankheiten viel schneller verbreiten: Im Mittelalter brauchten die Menschen mehrere Wochen, um von einem Land zum anderen zu gelangen – heute geht das innerhalb weniger Stunden. Wichtig ist aber, die Lage nicht zu dramatisieren. Auch wenn die Zahl der TB-Fälle ansteigt, haben wir es nicht gleich mit einer Epidemie zu tun.