Zahlen die Krankenkassen wirklich alles, was Patienten brauchen? Selbstzahler-Leistungen sind für die Ärzte ein Milliarden-Markt. Die Mediziner mahnen: Diese Angebote sollten nicht verteufelt werden.
Entgegen jahrelanger Kritik von Krankenkassen werben Deutschlands Kassenärzte für Selbstzahler-Leistungen zum Wohl der Patienten. „Es ist falsch, IGeL unter Generalverdacht zu stellen“, sagte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Gemeint sind Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), deren Kosten die Krankenkasse dem Patienten nicht erstatten muss. An diesem Dienstag stellen die Medizinischen Dienste der Krankenkassen in Berlin eine Analyse zu Schaden und Nutzen von IGeL-Leistungen vor.
Zu den gefragtesten Angeboten zählen Ultraschalluntersuchungen von Eierstöcken oder Brust, Früherkennung von Prostatakrebs, Messung des Augeninnendrucks oder Zahnreinigung. 67 Prozent der gesetzlich Versicherten sehen solche und andere Selbstzahlerleistung kritisch, teilten die Medizinischen Dienste vorab mit.
Patienten brauchen außreichend Bedenkzeit
Von Krankenkassen und Patientenberatern wird Ärzten immer wieder vorgeworfen, sie böten zu viele IGeL an oder versuchten Patienten, dazu zu drängen. Dabei würden solche Angebote auch Gefahren bergen – etwa wenn nach einem Fehlalarm bei einer Krebsfrüherkennung Patienten verunsichert werden oder sich sogar operieren lassen. Oft sei eine Krankheit auch gar nicht so bedrohlich, dass man sie behandeln müsse, heißt es immer wieder. Das Wissenschaftlichen Instituts der AOK geht davon aus, dass jährlich Selbstzahler-Leistungen für deutlich mehr als eine Milliarde Euro angeboten werden.
Die richtigen Fragen stellen
Wenn es um individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) geht, sollten Patienten auf ein persönliches Informationsgespräch mit dem Arzt bestehen. Darauf weisen die Verbraucherzentralen auf dem Portal www.igel-ärger.de hin. In dem Gespräch sollte man dann nach dem konkreten Nutzen der Selbstzahlerbehandlung fragen, außerdem nach möglichen Risiken oder Nebenwirkungen sowie nach den Kosten. Patienten sollten zudem nachhaken, warum die Behandlung nicht von den Krankenkassen bezahlt wird.
In diesem Punkt kann man auch ruhig bei seiner Versicherung direkt nachfragen, denn etwa bei bestimmten Vorerkrankungen kann es Ausnahmen bei der Kostenübernahme geben. Grundsätzlich gilt: IGeL sind nie eilig – man sollte sich also Bedenkzeit nehmen und keinesfalls drängen lassen.
Gassen sagte: „Im individuellen Patientenfall können IGeL durchaus medizinisch sinnvoll sein.“ Im Sinne eines guten Vertrauensverhältnisses zu seinen Patienten gäben Ärzte unter medizinischen Gesichtspunkten Empfehlungen ab. „Natürlich muss der Patient ausreichend Zeit haben, um über das Angebot entscheiden zu können“, betonte der KBV-Chef.
Eine Versichertenbefragung der KBV aus dem vergangenen Jahr habe gezeigt, dass IGeL von Patienten verstärkt nachgefragt werden. Die Forschungsgruppe Wahlen hatte für die KBV ermittelt, dass etwa 20 Prozent der Befragten, die im vergangenen Jahr bei einem Arzt waren, von sich aus nach einem IGeL-Angebot gefragt hätten. Die Bedenkzeit für die Entscheidung darüber erschien mehr als 80 Prozent von ihnen ausreichend. Vom Arzt angeboten bekamen rund 25 Prozent eine IgeL-Leistung.
Auch Patienten sehen IGeL-Leistungen kritisch
Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse zweifelt gut jeder zweite gesetzlich Versicherte am Nutzen von privat zu zahlenden Leistungen beim Arzt. Die Individuellen Gesundheitsleistungen hätten eher keinen Nutzen, meinen 38 Prozent der Befragten.
Gassen wies auf einen Online-Ratgeber „Selbst zahlen?“ der Ärzteschaft für Ärzte und Patienten hin.
Von Basil Wegener (dpa )