Phantomschmerz

© picture alliance/empics

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Schmerzen kennt jeder. Aber wie kann ein amputiertes Körperteil wehtun? Was steckt hinter dem, was wir Phantomschmerz nennen?

Früher galten Menschen mit Phantomschmerzen als Simulanten. Heute weiß die Wissenschaft: Der Schmerz ist echt – auch wenn der Begriff Phantomschmerz (griech. phantasma „Erscheinung“, „Trugbild“) etwas anderes suggeriert.

Wie häufig es genau zu solchen Empfindungsstörungen kommt, ist unklar. Die Forschung geht aber davon aus, dass deutlich über die Hälfte der Menschen ihr amputiertes Körperteil immer noch spüren. Das reicht vom leichten Kribbeln oder Jucken bis hin zum stechenden Schmerz.

Die innere Landkarte des Körpers …?

Krabbelt eine Ameise über unser Bein, spüren wir das. Umso mehr, wenn sie uns beißt. Für diese graduierte Wahrnehmung ist unser somatosensorischer Cortex, eine Schicht der Großhirnrinde, verantwortlich (griech. σώμα soma „Körper“; lat. sensorius „der Empfindung dienend“, cortex „Rinde“).

Jeder Teil unseres Körpers ist auf diesem Teil des Cortexs, entsprechend seiner „Empfindsamkeit“ repräsentiert. Deshalb beansprucht beispielsweise der Unterarm dort nur etwa halb so viel Platz wie ein anderes, sehr viel kleineres Organ – nämlich die Zunge.

Wohl jeder kann nachempfinden, was ein Biss auf das kleine Nervenbündel bedeutet: Praktisch ohne Zeitverzug feuern die dort stationierten Rezeptoren dann ein Signal durch die Nervenbahnen hinein in den Cortex, der es dann explosiv in ein infernalisches Schmerzgewitter samt Echo übersetzt. Dagegen ist etwa eine Prellung des Unterarms beinahe wohltuend.

Phantom- versus Stumpfschmerz

Zum Phantomschmerz gesellen sich oft auch Schmerzen am Stumpf. Letztere haben jedoch meist andere Ursachen. In der Regel sind sie Folge von Durchblutungsstörungen, Druckstellen oder einer schlecht sitzenden Prothese. Nach der Amputation können sich, dort wo Nerven durchschnitten sind, kleine narbenähnliche Knötchen bilden – sogenannte Neurome. Diese sind äußerst empfindlich und schmerzen oft schon bei leichten Berührungen.

Wie kommt es zum Phantomschmerz …?

Auch wenn ein Körperteil fehlt – ob Zünglein, Hand oder Bein – die zuständigen Nervenzellen auf der Hirnrinde arbeiten einfach weiter. Da sie nun aber keine Nachrichten mehr bekommen, versuchen sie, sich in der Nachbarschaft nützlich zu machen. Mit fatalen Folgen: Beim Spitzen der Lippen tut möglicherweise plötzlich die Hand weh. Und zwar die amputierte. Je eifriger die arbeitslosen Zellen sind, desto stärker ist der Schmerz.

Gleiches gilt, wenn ein Körperteil seinen Träger bereits vor der Amputation gepeinigt hat. Das Gehirn kann nämlich ein Schmerzgedächtnis ausbilden. Verstärkt werden Phantomschmerzen auch durch Stress oder depressive Verstimmungen. Menschen mit Phantomschmerz sollten deshalb unbedingt versuchen, die Körperveränderung so weit wie möglich anzunehmen und eine positive Einstellung zum Leben zu entwickeln.

Wie lassen sich die Schmerzen behandeln …?

Es gibt aber noch andere Methoden, um arbeitslose Cortexzellen wieder auf Kurs zu bringen. Die Bandbreite der Behandlungsmöglichkeiten reicht dabei vom einfachen Schmerzmittel bis hin zum Gehirntraining mit Videobrille. Ein Überblick:

  1. Schmerzmittel und Opiate mindern die Erregbarkeit der Nerven und unterdrücken den Schmerz. Um kontinuierlich mit ihrem Medikament versorgt zu werden, tragen manche Phantomschmerz-Patienten daher eine Schmerzpumpe. Das handtellergroße Gerät kann entweder implantiert oder am Körper getragen werden. Auf Dauer macht die Einnahme starker Schmerzmittel und Opiate jedoch müde. Ein weiterer unangenehmer Nebeneffekt sind Verstopfungen.
  2. Sogenannte myoelektrische Prothesen reagieren auf die Impulse der im Stumpf verbliebenen Muskeln und wandeln diese in Steuerungssignale für die Hightech-Prothese um. Tatsächlich aktiviert das Gehirn parallel dazu die noch vorhandenen Rezeptoren im Stumpf, die aufgrund der Prothesenbewegungen glauben, wieder mit ihrem Körperteil verbunden zu sein. Auch im Cortex ist so wieder alles beim Alten.
  3. Bei der Spiegeltherapie wird das Gehirn überlistet. Der Betroffene setzt sich so vor den Spiegel, dass er nur seine intakte Gliedmaße sieht. In dieser spiegelverkehrten Realität glaubt das Gehirn tatsächlich, das amputierte Pendant sei wieder da. Bewegt es sich auch noch, werden die passenden Areale auf der Hirnrinde aktiviert und reagieren zunehmend weniger auf Fremdsignale.
  4. Videobrillen funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Der Patient blickt durch die Brille und bewegt sein intaktes Körperteil. Mittels einer eingebauten Kamera werden die Bewegungen so auf die Brillengläser projiziert, dass der Patient mit eigenen Augen sieht, dass sein amputiertes Glied wieder seinen Dienst tut. Das funktioniert, obwohl der bewusste Teil des Hirns natürlich weiß, dass das nicht stimmen kann.
  5. Lindern lassen sich die Schmerzen auch durch Akupunktur. Wie genau sie wirkt, ist bislang nicht vollständig geklärt. In der Behandlung von Phantomschmerz scheint sie jedoch gute Resultate zu erzielen und wird sogar von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen.

Trotz der vielen Behandlungsmöglichkeiten bei Phantomschmerz steht die Wissenschaft hier noch ganz am Anfang. Warum und bei wem was letztlich wirkt, ist höchst individuell. Hier hilft meist nur eines: Ausprobieren!