Pharmaunternehmen vernachlässigen Frauenkrankheiten

© privat/Marion Noe

Gynäkologische und urologische Erkrankungen finden in der Forschung wenig Beachtung. Gerade forschende Pharmaunternehmen widmen sich eher den großen Volkskrankheiten wie Krebs oder Diabetes als Vaginalinfektionen oder Inkontinenz.

Die österreichische Frauenärztin Marion Noe hat deshalb das Projekt “ProFem” gegründet. Noe positioniert sich abseits der Interessen der Pharmabranche und ist gerade dabei, ihr erstes Medikament auf den Markt zu bringen. Uns erzählt Sie welche Schwierigkeiten ihr hier begegnen.

 

 

 

 

 

Redaktion: Bis zu 75 Prozent aller Frauen erkranken mindestens einmal in ihrem Leben an Scheidenpilzinfektionen. Und trotzdem gibt es keine wirksamen Medikamente?
Marion Noe: Doch. Für akute Fälle gibt es sogenannte Antimykotika. Das Problem sind die chronischen Entzündungen. Bei vielen Frauen kommen die Infektionen immer wieder – definitionsgemäß öfter als viermal im Jahr. Das ist nicht nur verdammt schmerzhaft, es belastet auch die Beziehung und das Sexualleben. Das letzte Medikament mit einem deutlichen therapeutischen Fortschritt in diesem Bereich ist vor gut 40 Jahren neu auf den Markt gekommen. Das kann doch nicht sein!

Woran liegt es, dass Frauenkrankheiten kaum auf der Forschungsagenda stehen?
Gerade in der Arzneimittelforschung sind nicht nur die spezifischen Bedürfnisse von Frauen, sondern ist die Frau an sich lange Zeit vernachlässigt worden. Beispielsweise wurden neue Medikamente bis Anfang der 90er-Jahre fast ausschließlich an Männern getestet. Die Ergebnisse hat man dann einfach in ein Standardmedikament für alle übersetzt. Besondere Gegebenheiten bei Frauen, aber auch bei Kindern und alten Menschen wurden so lange Zeit von der Forschung übersehen.

Ist das heute immer noch so?
Das hat sich schon deutlich geändert. Heute wird in klinischen Tests auch nach Geschlechtern unterschieden. Die gynäkologische Forschung bringt das alleine allerdings trotzdem nicht voran.

Nicht die Forschung, sondern der Absatzmarkt entscheidet

Müssten nicht gerade solche von der Forschung vernachlässigten Gebiete wie die Gynäkologie lukrativ sein?
Das Problem ist, dass die meisten Pharmaunternehmen generell kaum mehr Interesse daran haben, in die Entwicklung und Erforschung neuer Medikamente zu investieren. Lieber versuchen sie, ihre Märkte in der globalisierten Welt auszuweiten. Anstatt Geld in die Grundlagenforschung zu stecken, verkaufen sie lieber die bereits am Markt etablierten Medikamente nach Südamerika, Asien oder Afrika.

Was bringt den Firmen diese Verlagerung in die Entwicklungs- und Schwellenländer?
So können sie sechs Milliarden anstatt eine Milliarde Menschen erreichen. Das ist ein gutes Geschäft. Die Stückpreise sind zwar fast überall viel niedriger als in Deutschland, dafür ist es die Menge, die den Profit bringt. Bei aller Kritik darf man allerdings nicht vergessen, dass es letztendlich ethisch korrekt und auch wünschenswert ist, möglichst vielen Menschen eine solide Arzneimitteltherapie zugänglich zu machen. Trotzdem dürfen wir die Forschung nicht vernachlässigen.

Im Bereich der Onkologie und Diabetes wird doch relativ viel geforscht.
Das geschilderte Umschwenken von forschungs- zu marktbasierten Strategien erfolgt nicht abrupt, sondern eher tendenziell. Die großen Volkskrankheiten bilden eine Ausnahme. Findet man hier einen neuen und deutlich effektiveren Wirkstoff, oder schafft es gar ein Medikament gegen Alzheimer zu finden, so ist das nicht nur ein Segen für die Menschheit, es bringt auch Geld und Prestige. In der Gynäkologie, aber auch in der Urologie und in der Dermatologie gibt es zwar sehr viele Krankheitsfälle, aber kaum Blockbuster-Themen. Für die Pharmaunternehmen sind diese Gebiete daher uninteressant.

ProFem” greift Frauenthemen auf

Hier kommt ihr Start-up “ProFem” ins Spiel?
Richtig. Wir haben eine neue Wirkstoffkombination gegen chronische Scheidenpilzinfektionen entwickelt und befinden uns gerade in der Vorbereitung der Phase II des klinischen Tests. Wenn alles gut geht, kommt das Medikament in etwa drei Jahren auf den Markt. Damit heilen wir zwar keine lebensbedrohliche Krankheit, aber wir können die Lebensqualität vieler Frauen enorm verbessern.

Woran forschen Sie noch?
Grundsätzlich suchen wir nach schnell umsetzbaren Möglichkeiten bei Frauenkrankheiten. Konkret arbeiten wir an Mitteln gegen andere Infektionskrankheiten im Urogenitalbereich, aber auch gegen Leiden wie die überaktive Blase und Inkontinenz. Auch hier gibt es einen erheblichen Nachholbedarf. Die meisten verfügbaren Medikamente haben unangenehme Nebenwirkungen – und wer läuft schon gerne mit einer Windel herum? Allerdings treten wir bei diesem Thema ein bisschen auf der Stelle.

Können sie keinen passenden Wirkstoff finden?
Das ist es nicht. Das Konzept steht fest und auch den Wirkstoff haben wir. Allerdings fehlt uns das Geld, um in die nächste Testphase zu kommen. Zwar wählen und gestalten wir unsere Projekte gezielt so, dass sie sich schnell und kostengünstig umsetzen lassen. Aber die pharmazeutische Forschung ist grundsätzlich extrem teuer.

Von was für Summen sprechen wir hier?
Eine Faustregel besagt, dass man mindestens eine Milliarde Euro benötigt, um ein Medikament mit einem völlig neuen Wirkstoff auf den Markt zu bringen. Das können sich eigentlich nur Großkonzerne leisten. 

Sie sind also auf finanzielle Unterstützung angewiesen?
Auf jeden Fall. Es gibt zwar ein starkes politisches Interesse an Innovation, doch das ist nicht nachhaltig. Zu Beginn der Forschung wird man noch motiviert und finanziell unterstützt. Gerade in Österreich gibt es an sich gute Förderungen und Rahmenbedingungen für den Start. Aber spätestens wenn man in die Phase der klinischen Tests kommt, ist man auf zusätzliche Finanzpartner angewiesen. Sonst landet man im “Death Valley”, im Tal des Todes. Die großen Pharmafirmen interessieren sich in der Regel erst für das Projekt, wenn der Wirksamkeitsnachweis erfolgreich war.

Und das ärgert Sie?
Sogar gewaltig. Der Pharmamarkt ist viele Milliarden schwer, aber anstatt das Geld auch in die frühen Phasen der Forschung zu investieren, fließt es in die Erschließung neuer Märkte und in die Entwicklung von Generika. Das Thema Forschen kommt einfach zu kurz.