Im 18. Jahrhundert erkrankten Seefahrer häufig an Skorbut, einer Krankheit, die müde macht, Durchfall verursacht und zu Knochen- und Muskelschwund führen kann. Ärzte vermuteten bereits damals, dass eine einseitige Ernährung der Grund für die Erkrankung ist. Der schottische Schiffsarzt James Lind wollte es jedoch genauer wissen und führte eine der ersten klinischen Studien durch: An Bord der HMS Salisbury teilte er zwölf Matrosen, die an Skorbut erkrankt waren, in sechs Gruppen ein. Alle erhielten die gleiche Kost, die Lind aber mit unterschiedlichen Nahrungsmitteln kombinierte: Zwei Männer mussten beispielsweise jeden Tag verdünnte Schwefelsäure trinken, da Lind davon ausging, Skorbut könne durch säurehaltige Ernährung geheilt werden. Die Männer, die als einzige Obst zu essen bekamen – nämlich täglich zwei Orangen und eine Zitrone –, erholten sich schon nach wenigen Tagen von der Krankheit. Linds Fazit: Skorbut ist eine Mangelerkrankung, verursacht durch zu wenig Vitamin C.
Bis heute gilt diese Form des Studiendesigns als der Goldstandard der klinischen Forschung – besonders, wenn es um die Zulassung neuer Medikamente geht. Im Fachjargon nennen Wissenschaftler die Untersuchung auch eine randomisierte kontrollierte Interventionsstudie. Sie kann offen, blind oder auch doppelblind durchgeführt werden. Mit Hilfe von James Lind und seinen zwölf skorbutkranken Matrosen wollen wir das kurz erklären:
Wie kam James Lind darauf, Skorbut zu erforschen?
Ausgangspunkt seiner des Experiments war der katastrophale Ausgang der Weltumsegelung des britischen Admirals George Ansons im Jahr 1740. Von den ursprünglich 1.900 Seeleuten, mit denen der Captain aufbrach, überlebten gerade mal 500 die Reise – viele starben vermutlich an Skorbut.
1. In einer Interventionsstudie greift der Studienleiter in die Behandlung eines Patienten ein – beispielsweise verschreibt der Arzt dem Kranken nicht das Standardmedikament, sondern ein neu entwickeltes Arzneimittel.
Unser Schotte James Lind intervenierte in die Therapie der Seeleute, in dem er ihnen eine spezielle Diät verschrieb – eine der sechs Gruppen musste beispielsweise jeden Tag einen halben Liter Apfelwein trinken, ein Duo bekam Essig und ein anderes Zweierpärchen musste den Mund nach jedem Essen mit einer bestimmten Medizin ausspülen.
2. Das Gegenstück – also die nicht-interventionelle Studie – ist die Beobachtungsstudie. In solch einer Studie wird der Therapieplan nicht verändert. Das heiß, bei einem neu zugelassenen Medikament wird beobachtet, wie es unter Alltagsbedingungen wirkt.
Hätte James Lind eine Beobachtungsstudie durchgeführt, wäre er mit den Seefahrern aufs Boot gestiegen, hätte während der Reise notiert, was die Menschen an Bord essen und trinken und hätte dann in seinem stillen Kämmerlein die Daten ausgewertet. So weit ging der schottische Arzt nicht. Er notierte aber durchaus, was die anderen Matrosen aßen – die, die er nicht in seine Studie mitaufgenommen hatte. So fand er heraus, dass auch Sauerkraut gegen Skorbut hilft.
3. Kontrolliert bedeutet, dass das Medikament mithilfe zweier oder mehrerer Vergleichsgruppen getestet wird. In der Regel geschieht dies in sogenannten Fall-Kontroll-Studien. Hier wird jedem Fall (einer Person, die von der jeweiligen Krankheit betroffen ist und mit dem neuen Medikament behandelt wird) eine passende Kontrolle (ein Erkrankter, der die Standardtherapie oder ein Placebo erhält) zugeordnet. Durch den Gruppenvergleich lässt sich die Wirkung einer neuen Behandlung besser einschätzen.
Auch James Lind hat seine Skorbut-Patienten (seine Fälle) kontrolliert. Das tat er, in dem er die Männer in sechs Gruppen einteilte und jeder Gruppe eine eigene Diät verordnete. Eine Fall-Kontroll-Studie hat er jedoch nicht durchgeführt. Hierfür hätte er Kontrollen gebraucht (eine Gruppe kranker Seefahrer), die mit der konventionellen Therapie – unter damaligen Umständen also gar nicht – behandelt werden.
Klinische Studien: Wo werden die Ergebnisse veröffentlicht?
Nachlesen lassen sich die Ergebnisse klinischer Studien vor allem in internationalen Fachzeitschriften. Oft werden sie auch auf Fachkongressen präsentiert, zu denen „Normalbürger“ nicht immer Zugang haben. Wichtig ist das wissenschaftliche Publizieren vor allem zur Qualitätssicherung und um neue Erkenntnisse zu verbreiten.
Viele Studienveröffentlichungen sind ziemlich dicke Wälzer. Ebenso gibt es häufig eine ganze Reihe von Publikationen und Fachbeiträgen, die sich mit denselben Themen befassen. Um den Überblick zu behalten, verfassen Wissenschaftler sogenannte systematische Reviews. So werden Übersichtsarbeiten bezeichnet Übersichtsarbeiten, die den ganzen Stoff noch einmal zusammenfassen.
4. Cross-Over-Studien sind gewissermaßen das Pendant zur kontrollierten Studie. Hier wird die Wirksamkeit nicht an einem Fall und einer Kontrolle, sondern an ein und derselben Person verglichen. Hierfür nimmt der Studienteilnehmer die unterschiedlichen Medikamente nacheinander ein – er ist sozusagen seine eigene Kontrolle. Solche Studientypen werden in der Arzneimittelforschung vor allem dann angewendet, wenn es um die Bestimmung der richtigen Dosierung geht.
James Lind hat das nicht getan. Hätte er eine Cross-Over-Studie durchgeführt, hätte er einem Seefahrer eine Woche lang erst einen halben Liter Apfelwein geben müssen, dann täglich einen Viertel Liter Essig, dann die Zitronen und, und, und …. Ob einer der Männer das mitgemacht hätte, ist fraglich.
5. Der Begriff randomisiert meint, dass die Studienteilnehmer per Zufall auf die einzelnen Gruppen, die sogenannten Studienarme verteilt werden. Verläuft die Studie nicht randomisiert, besteht die Gefahr der Manipulation.
James Lind randomisierte seine Patienten vermutlich eher intuitiv, indem er sie, ohne groß darüber nachzudenken, in die jeweiligen Gruppen einteilte. Manipuliert hätte er, wenn er in die Gruppe mit der Zitrusfrucht-Diät – von der er ausging, dass sie am besten wirkt – nur die Seefahrer mit den besten Heilungschancen aufgenommen hätte.
6. Wird eine Studie offen durchgeführt, wissen die Teilnehmer, zu welcher Behandlungsgruppe sie gehören und ob sie das echte Medikament oder das Placebo erhalten. Verblindet heißt, dass eine Person nicht erfährt, welcher Gruppe sie angehört. Doppelblind bezeichnet den Vorgang, dass weder Arzt noch Patient, sondern nur der Studienleiter über die Einteilung informiert sind. Auf diese Weise soll der Effekt des Placebos verhindert werden. Placebo meint, dass eine Person sich schon deshalb besser oder schlechter fühlt, weil sie glaubt, mit dem neuen Medikament behandelt zu werden. Das Gleiche gilt für den behandelnden Arzt. Weiß er nicht, welches Medikament er seinem Patienten gibt, kann sichergestellt werden, dass er beide Gruppen gleich behandelt und bei allen gleichermaßen auf Nebenwirkungen achtet.
James Lind führte eine offene Studie durch. Keiner der Matrosen bekam ein Placebo und jeder seiner Patienten wusste, in welche Gruppe er eingeteilt war und welche Lebensmittel zu seiner Diät gehörten.