Schonfrist für Krankenversicherte

Die Ausgaben der Krankenkassen für Ärzte, Kliniken und Medikamente steigen nächstes Jahr wieder um Milliarden – der Beitrag bleibt aber stabil. Wie kann das gehen?

Im Jahr der Bundestagswahl müssen die Mitglieder der Krankenkassen aller Voraussicht nach keine höheren Beiträge zahlen – ausnahmsweise. Das Wichtigste zu dieser Entwicklung im Überblick:

Was kommt auf die Versicherten zu?

Voraussichtlich keine Veränderung: Der allgemeine Beitragssatz von 14,6 Prozent, getragen je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, ist ohnehin gesetzlich fixiert. Nun soll aber auch der alleine von den 55 Millionen Kassenmitgliedern zu zahlende durchschnittliche Zusatzbeitragssatz laut offizieller Schätzung bei 1,1 Prozent stabil bleiben. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) dürfte bei der endgültigen Festlegung dieses Zusatzbeitrags kaum davon abweichen. Und auch große Kassen lassen schon durchblicken, dass sie von ihrer Möglichkeit, mehr zu nehmen als heute, nicht Gebrauch machen werden.

Was war ursprünglich erwartet worden?

Ein spürbar steigender Zusatzbeitrag. „Wir werden im nächsten Jahr voraussichtlich auf 1,3 bis 1,4 Prozent kommen“, sagte die Chefin des Kassenverbands, Doris Pfeiffer, noch im Juli. Bei einem Monatseinkommen von 2500 Euro brutto wären das immerhin 90 Euro im Jahr mehr gewesen.

Worauf ist die Entwicklung nun zurückzuführen?

Zwar dürften die Kosten für Kliniken, Ärzte und Pharma steigen. Laut der seit Donnerstag vorliegenden offiziellen Schätzung für die Krankenversicherung steigen die Gesundheitsausgaben um 10,7 Milliarden Euro auf 229,1 Milliarden 2017. Aber die Regierung will den Kassen 1,5 Milliarden Euro aus der Reserve des Gesundheitsfonds zur Verfügung stellen – für die Flüchtlingsversorgung und die Digitalisierung von Praxen. Kritiker sagten, die Flüchtlinge verursachten noch gar nicht viel mehr Kosten. Aber auch die gute Wirtschaftslage und die Rekordbeschäftigung lassen die Einnahmen sprudeln – auf 214,8 Milliarden Euro, die in den Fonds fließen.

Warum hat der Zusatzbeitrag seine große Bedeutung?

Die große Koalition verband mit dem jetzigen, seit Anfang 2015 gültigen Finanzierungssystem zwei Ziele. Die Arbeitskosten sollten nicht immer weiter steigen. Deshalb ist der allgemeine Beitragssatz fixiert. Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen sollte aber gestärkt werden: Sie können den Zusatzbeitrag deshalb individuell festlegen. Gewerkschaften, Sozialverbände und Opposition fordern eine Rückkehr zur insgesamt jeweils hälftigen Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Wie wird die Schätzung bewertet?

Für Gröhe zeigt die Schätzung, „dass der Alarmismus, mit dem noch vor kurzem deutliche Anstiege des Zusatzbeitrages im Jahr 2017 an die Wand gemalt wurden, völlig unangemessen war.“ Kassen-Verbandschefin Pfeiffer erläutert, die zusätzlichen 1,5 Milliarden Euro aus dem Fonds seien nun ausschlaggebend – und der Allzeitrekord bei der Beschäftigung. Der Linken-Gesundheitspolitiker Harald Weinberg wirft Gröhe „Wahlkampfgeschenke2 vor. IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban betont: Nach der Bundestagswahl 2017 dürften die Beiträge doch wieder steigen – es sei nur eine Schonfrist.

Was hat der Streit um Diagnose-Manipulationen damit zu tun?

Die Kassen wollen unbedingt vermeiden, selbst höhere Zusatzbeiträge nehmen zu müssen, damit ihnen nicht die Mitglieder davonlaufen. Das könnte ein Motiv sein, dass sie angeblich in großem Stil Ärzte drängen, Patienten auf dem Papier kränker zu machen als sie sind. Vor allem Vertreter von Kassen mit überdurchschnittlich vielen Gesunden fordern, dass der geltende Finanzausgleich zwischen den Kassen nach ihrer Krankheitslast entschlackt wird.

Was galt vor der schwarz-roten Gesundheitsreform?

Auch von 2009 bis Ende 2014 konnten die Krankenkassen zusätzlichen Finanzbedarf über individuelle Zusatzbeiträge decken – damals aber noch in festen Eurobeträgen und nicht als Prozentsatz. In den Jahren 2010, 2011, 2012 erhoben bis zu 13 Krankenkassen einen Zusatzbeitrag von durchschnittlich acht Euro. Seit Oktober 2012 nahm keine Krankenkasse einen Zusatzbeitrag mehr. Stattdessen beteiligten viele Kassen ihre Versicherten über Prämien und freiwillige Satzungsleistungen an ihren hohen Finanz-Reserven.

Von Basil Wegener (dpa)