Wenn chronisch kranke Kinder groß werden

© picture alliance/Bildagentur-online

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Kinder mit schweren chronischen Erkrankungen werden heute deutlich älter als früher. Doch der Übergang in die Erwachsenenmedizin funktioniert nicht immer reibungslos. Strukturierte Programme sollen den Weg erleichtern.

Am 18. Geburtstag ist in aller Regel Schluss: Dann können sich chronisch kranke Teenager nicht mehr von ihrem langjährigen Kinder- und Jugendarzt behandeln lassen. Sie müssen sich einen Haus- oder Facharzt suchen. Wenn sie bei diesem Schritt nicht begleitet werden, besteht die Gefahr, dass sie keinen geeigneten Arzt finden und im System verloren gehen. Das kann schwerwiegende Folgen für die Gesundheit haben, erklärt Professorin Britta Siegmund, Internistin an der Charité Berlin und Transitions-Expertin. Als Transition bezeichnen Fachleute den Wechsel von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin.

Es gibt viele Gründe, warum der Übergang nicht klappt. „Das hängt zum einen von der Erkrankung ab“, sagt Hermann Josef Kahl, Kinderkardiologe und Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. „Kinder mit seltenen Erkrankungen und schweren Behinderungen sind extrem schwer zu vermitteln.“ Diese Patientengruppe tauchte früher in den Erwachsenenpraxen schlicht nicht auf, weil die Betroffenen noch im Kindesalter verstarben. Deswegen gibt es nur wenige Allgemeinmediziner und Internisten, die sich mit den Krankheitsbildern auskennen.

Bei anderen Erkrankungen wie Diabetes oder Epilepsie sei es zwar einfacher, einen passenden Facharzt zu finden. Viele Jugendliche und ihre Eltern wollen aber den Arzt gar nicht wechseln, wie Kahl erklärt. Sie haben über lange Jahre eine Vertrauensbeziehung aufgebaut. Manche Pädiater beantragen dann Sondergenehmigungen, um die Kinder weiter zu behandeln.

Die Mickey-Maus-Bilder am Fenster passen nicht mehr

Martina Oldhafer, Soziologin und Erste Vorsitzende der Gesellschaft für Transitionsmedizin, hält eine solche Haltung für problematisch. Die Eltern müssten die Selbstständigkeit ihrer Kinder fördern. „Gerade Mütter verpassen es manchmal, in der richtigen Zeit loszulassen und die Jugendlichen ziehen zu lassen. Sie haben Angst, dass sich der Gesundheitszustand ihrer Kinder dadurch verschlechtert.“ Viele Jugendliche wollten aber ab einem gewissen Alter gar nicht mehr zum Kinderarzt. „Die Biene-Maja- und Mickey-Maus-Bilder an den Fenstern werden irgendwann nicht mehr als angemessen empfunden“, sagt Oldhafer.

Wenn ein fachlich geeigneter Erwachsenen-Arzt gefunden ist, heißt das nicht automatisch, dass die Transition geglückt ist. „Die Betreuung in einer Erwachsenenpraxis ist völlig anders als in einer Kinderarztpraxis“, sagt Oldhafer. Im Wartezimmer sitzen junge Erwachsene plötzlich zwischen lauter Patienten, die viel älter sind. Die Ärzte haben wenig Zeit und kümmern sich nicht so, wie es die Heranwachsenden von ihrem Kinder- und Jugendarzt gewohnt sind. Wenn die jungen Erwachsenen sich nicht wohl fühlen, muss ein neuer Arzt her.

„Einen passenden Arzt findet man am besten über eine Koordinierungsstelle, an die sich die Jugendlichen wenden können“, sagt Oldhafer. Eine solche Koordinierungsstelle gibt es beispielsweise beim Berliner Transitionsprogramm. Das Programm wurde vor einigen Jahren an den DRK Kliniken im Berliner Westend aufgebaut und wird inzwischen etwa auch in Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein angeboten. Es richtet sich an Jugendliche ab 16 Jahren mit Diabetes, Epilepsie, Nierenerkrankungen, Rheuma, ADHS, neuromuskulären Erkrankungen und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Nicht alle gesetzlichen Krankenkassen übernehmen automatisch die Kosten dafür, manchmal kommt es auf den Einzelfall an – Betroffene fragen am besten bei ihrer Versicherung nach.

Übergang mit Struktur

Siegmund, die als Mitglied der interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft Transition am Projekt beteiligt ist, erklärt das Prinzip: Die Kinder werden zwei Jahre lang auf dem Weg in die Erwachsenenmedizin begleitet. Eine sogenannte Fall-Managerin vermittelt passende Ärzte und überprüft, ob die Termine eingehalten werden. Über eine App können die Jugendlichen mit der Fallmanagerin chatten, Checklisten ansehen und Links abrufen.

Der Erwachsenenmediziner erhält eine sogenannte Epikrise: ein Dokument, in dem alle wesentlichen Daten des bisherigen Krankheitsverlaufs zusammengefasst sind. Damit wird die Übernahme in die Erwachsenenmedizin erleichtert. Außerdem organisiert das Transitions-Team gemeinsame Sprechstunden der beteiligten Ärzte mit dem Jugendlichen und Fallkonferenzen. Der Personalaufwand sei nicht sehr hoch, erklärt Britta Siegmund. „Eine Fallmanagerin reicht für die Region Berlin-Brandenburg locker aus.“ Finanziert wird die Stelle über mehrere Krankenkassen, die das Projekt unterstützen. Sie vergüten auch den Mehraufwand, den die teilnehmenden Ärzte haben.

Neben dem Berliner Programm gibt es deutschlandweit noch andere regionale Zentren, die strukturierte Transitionsmodelle anbieten. „Sehr gute strukturierte Angebote gibt es bereits für Jugendliche und Erwachsene mit angeborenen Herzfehler, den so genannten JEMAHs“, erklärt Kinderkardiologe Kahl.

Von Caroline Mayer (dpa)