Wenn Konsum zur Sucht wird

© picture alliance / Wolfram Steinberg

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Im Elektronikmarkt die neueste Technik testen, in der Boutique durch die Regale stöbern oder mit ein paar Klicks im Internet bestellen: Vielen Menschen macht Einkaufen Spaß. Manche kommen aus dem Kaufrausch jedoch nicht wieder raus.

Hier ein neues Kleid, dort ein paar Schuhe – meist beginnt es ganz harmlos. Doch manche Menschen geraten irgendwann in einen Kaufrausch, den sie nicht mehr kontrollieren können. Sie shoppen auch, was sie nie benutzen, und horten Unmengen sinnloses Zeug. Das Problem: Auf Dauer verschulden sich die Betroffenen. Und nicht selten stehen sie am Ende ganz allein da – ohne Job, ohne Partner, ohne Freunde.

Menschen mit pathologischem Kaufverhalten benötigen deshalb unbedingt Unterstützung, sagt Professorin Nina Romanczuk-Seiferth, leitende Psychotherapeutin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité. Dafür braucht es aber zuallererst die Erkenntnis, dass aus harmlosen Shoppingtouren eine Sucht geworden ist.

Konsum ist die simpelste Medizin

Kaufsucht gehört zu den substanzungebundenen Abhängigkeiten. Im Gegensatz etwa zu Drogenabhängigkeit ist der Betroffene nicht nach einer Substanz wie Kokain oder Alkohol süchtig, sondern nach einer bestimmten Tätigkeit. Die Mechanismen gleichen sich aber, erklärt Professorin Astrid Müller von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinische Hochschule Hannover. In beiden Fällen feuert das Belohnungssystem, wenn der Süchtige mit seinem Suchtstoff konfrontiert wird – egal, ob es sich um eine Flasche Wein handelt oder um ein neues Paar Schuhe.

Trotzdem gibt es bisher nur eine substanzungebundene Abhängigkeit, die als Krankheit anerkannt ist: die Glücksspielsucht. „Andere Abhängigkeiten wie zum Beispiel die Kaufsucht werden bagatellisiert“, sagt Müller. Wie viele Menschen in Deutschland betroffen sind, ist schwer zu sagen. Die Zahlen unterscheiden sich – je nachdem, ab wann jemand als kaufsüchtig definiert wird. Eine Metaanalyse auf der Basis von Studien aus unterschiedlichen Ländern ergab, dass im Mittel rund fünf Prozent der Bevölkerung kaufsüchtig sind. Diese Zahl wurde unlängst in einer deutschen Bevölkerungsbefragung bestätigt.

Professor Karl Kollmann, der unter anderem für die österreichische Arbeiterkammer zum Thema Kaufsucht geforscht hat, ist überzeugt: „Gesellschaftlich und kulturell besteht der Anspruch, auf allen Ebenen ein erfülltes Leben zu führen.“ Das erzeuge Druck, für den viele Menschen einen Ausgleich suchen: Nach einem stressigen Arbeitstag belohnen sie sich mit dem Kauf eines neuen Pullovers. Der Konsum sei die simpelste Medizin, um Frustration aus dem Alltag zu kompensieren, erklärt Kollmann: „Ich entschädige mich dafür, indem ich mir etwas kaufe, das mir gefällt.“

Das an sich ist natürlich kein Problem. Bei Menschen mit Kaufsucht verselbstständigt sich dieser Mechanismus jedoch. „Aus einem ‚Liking’ wird ein ‚Wanting’“, erklärt Müller. Dann macht Kaufen keinen Spaß mehr, es befriedigt nur noch einen Drang – und vertreibt Langeweile.

Kaufverhalten offen ansprechen

Verstärkt wird das Phänomen durch die Möglichkeit, auch online einzukaufen – ungesehen, per Mausklick und ohne Bargeld. TV-Shopping, Kataloge, Online-Versandhändler und Dash-Buttons machen Produkte jederzeit und mit extrem kurzen Lieferzeiten verfügbar. „Es ist davon auszugehen, dass dadurch die Schwelle für exzessives Kaufverhalten bei bestimmten Betroffenen erniedrigt wird“, erklärt Psychotherapeutin Romanczuk-Seiferth.

Für jemanden, der mit einem Kaufsüchtigen zusammenlebt, ist schwer zu verstehen, was da passiert: Schon wieder neue Schuhe? Neue Technik, die niemand nutzt? Dass eine Erkrankung dahinterstecken könnte, vermuten die wenigsten. „Anders als Drogensüchtige wirkt der Kaufsüchtige ja keineswegs verwahrlost“, sagt Müller. Im Gegenteil: Betroffene sind häufig besonders gut gekleidet.

Von ihrem Umfeld werden sie allenfalls für willensschwach gehalten – eine Stigmatisierung, unter der sie leiden. „Betroffene haben häufig Schuldgefühle und schämen sich für ihr Problem“, sagt Romanczuk-Seiferth. Auch gegenüber engen Vertrauten verharmlosen, rechtfertigen oder verheimlichen viele deshalb ihre Kaufexzesse.

Romanczuk-Seiferth rät Angehörigen, das Kaufverhalten offen anzusprechen und dem Betroffenen zu helfen, sich seine Probleme einzugestehen. Damit das funktioniert, helfe es, verständnisvoll und nicht anklagend auf den anderen zuzugehen. Trotzdem sei es wichtig, die Dinge beim Namen zu nennen. Nur so lässt sich der Betroffene motivieren, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Für Angehörige sei es aber auch wichtig, auf sich selber zu achten und wenn nötig ebenfalls Unterstützung zu suchen. Selbsthilfegruppen etwa gibt es nicht nur für Süchtige, sondern auch für deren Angehörige.

„Die Versorgungslage ist miserabel“

Geeignete Beratungs- und Behandlungsangebote für Kaufsüchtige sind in Deutschland allerdings rar, sagt Müller: „Die Versorgungslage ist miserabel.“ Idealerweise werden Kaufsüchtige ihr zufolge in kleinen Gruppen therapiert. „Dann können sich die Teilnehmer auch gegenseitig coachen.“ Einige psychosomatische Ambulanzen bieten solche Gruppentherapien an. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine Kaufsucht-Therapie nicht.

Während der Therapie analysieren die Teilnehmer erst einmal, in welchen Situationen sie unkontrolliert kaufen. „Dann suchen wir gemeinsam nach Wegen, sich auf andere Weise zu belohnen als durch den Kauf eines unnötigen Kleidungsstücks.“ Ist die Therapie abgeschlossen, sei es ratsam, sich eine Selbsthilfegruppe zu suchen. „Kaufsüchtige sind wie alle anderen Süchtigen nie vollständig geheilt“, stellt Müller klar. Sie müssen mühevoll lernen, ihre Impulse besser zu kontrollieren, und diese Kontrolle ein Leben lang aufrechterhalten.

Von Daniela Schumacher und Teresa Nauber (dpa)