Süchtig: Wenn es neben dem Job nichts anderes mehr gibt

George Clooney und Michelle Pfeiffer als Workaholics in „Tage wie dieser“ / © picture-alliance / KPA Honorar und Belege

George Clooney und Michelle Pfeiffer als Workaholics in „Tage wie dieser“ / © picture-alliance / KPA Honorar und Belege

Die Arbeit stapelt sich, und trotzdem ist da der Wunsch nach noch einem Projekt: Arbeitssüchtige können nicht ohne ihren Job. Trotz der vielen Überstunden sind sie jedoch nicht immer produktiv.

Manche Menschen arbeiten viel. Und andere können gar nicht aufhören damit – sie sind süchtig. Nicht nach Alkohol oder Nikotin, nicht nach Pillen oder Drogen. Sondern nach ihrem Job. Ähnlich wie der Burn-out ist die Arbeitssucht nicht allgemeingültig definiert, sagt Diplom-Psychologe Stefan Poppelreuter, der verschiedene Bücher zum Thema Arbeitssucht veröffentlicht hat. Zwischen 200.000 und 300.000 Betroffene gibt es Schätzungen zufolge.

Nicht jeder, der exzessiv arbeitet und viele Stunden im Büro verbringt, ist süchtig. „Vielmehr geht es darum, dass einen die Arbeit nicht mehr loslässt und man meint, die Welt bricht zusammen ohne die eigene Leistung“, erklärt er. Psychologische Studien zeigen, dass Betroffene sich unwohl fühlen, wenn sie nicht schuften. „Arbeitssüchtige benötigen das Gefühl, permanent produktiv zu sein und gebraucht zu werden“, erläutert Professorin Ute Rademacher, Dozentin an der International School of Management (ISM) in Hamburg.

Workaholics arbeiten häufig ineffizient

Doch wo ist die Grenze? „Wer das Telefon und den Computer ausschalten kann und einen Tag mit der Familie genießt, ohne an die Arbeit zu denken, braucht sich keine Sorgen zu machen“, sagt Poppelreuter. Schwierig ist, wenn das nicht mehr geht. Viele Arbeitssüchtige sind morgens als Erste da und gehen als Letzte. Dabei sind sie allerdings nicht immer produktiv. Workaholics arbeiten häufig sehr ineffizient. „Sie können nicht delegieren und keine Prioritäten setzen, vergiften das Teamklima und eignen sich nicht, mit anderen zusammenzuarbeiten“, erzählt der Psychologe. Hinzu komme oft, dass sie durch den schlechten Output den Druck für das ganze Team erhöhen.

Häufig werde Arbeitssucht zunächst auch verklärt: Mancher findet es toll, zu sagen: Ich arbeite viel zu viel. Auch Arbeitgeber heißen das häufig gut. „In einem Vorstellungsgespräch wird oft nach der größten Schwäche gefragt“, gibt Poppelreuter ein Beispiel. Viele Bewerber antworten dann, sie arbeiten zu viel. Es sollte jedoch ein absolutes Ausschlusskriterium seinen, einen Arbeitssüchtigen einzustellen. Denn aus Arbeitgebersicht bringt so ein Mitarbeiter nur einen begrenzten Nutzen: „Die permanente Überbelastung führt zu Konsequenzen, es kommt zu verzögerten Entscheidungsprozessen, Ausschuss wird produziert.“

Körperlich präsent, aber psychisch abwesend

Zwischen Männern und Frauen gibt es keinen Unterschied, was die Zahl der Arbeitssüchtigen angeht. Allerdings seien in den helfenden und kreativen Berufen sowie bei den Selbstständigen mehr Menschen mit einer Neigung zum Suchtverhalten vertreten, erzählt Poppelreuter. Arbeit ist dabei häufig eine Flucht vor anderen Konflikten im Leben. Workaholics sind nicht selten Getriebene, bunkern die Arbeit und vernachlässigen Sozialkontakte. „Vielen fehlt die innere Erfüllung“, sagt Werner Gross, Mitbegründer des Psychologischen Forums Offenbach.

Das ist auch der Punkt, an dem Freunde und Verwandte die Sucht erkennen können. „Die Arbeitssüchtigen sind zwar physisch präsent, aber geistig abwesend, folgen Gesprächen nicht und schreiben dauernd Mails“, sagt Poppelreuter. In der ersten Urlaubswoche fallen sie für die Familie häufig aus, weil sie erstmal den Schlaf nachholen müssen, den sie verpasst haben. Auch körperliche Veränderungen können Anzeichen sein: Entweder ernähren sich Workaholics schlecht, haben zu wenig Bewegung und in der Folge zu viele Kilos. „Oder sie sind auch in anderen Lebensbereichen zwanghaft, rennen Marathon oder machen etwas ähnlich Extremes“, stellt Poppelreuter fest.

Abstinenz ist nicht das Ziel

Die Folgen der Arbeitssucht äußern sich oft körperlich durch Kopfschmerzen, Magengeschwüre oder Schlafstörungen. Körper und Psyche geben damit ein Stoppsignal. „Das kann auch sehr dramatisch sein, mit Zusammenbruch, totaler Erschöpfung und Herzinfarkt“, erzählt Gross. Spätestens dann muss man sich mit der Sucht auseinandersetzen. Langfristig bleibt Betroffenen nichts anderes übrig, als ihren Lebensstil zu ändern. „Kurzfristig kann man sich mal zwei Stunden Zeit zum Mittagessen nehmen, ohne Handy, ohne Fachliteratur und am besten mit Freunden“, sagt er.

Auch muss man nicht gleich in eine langwierige Therapie. „Der erste Schritt ist, es selbst zu probieren, mit Vertrauten zu reden.“ Außerdem gebe es verschiedene Selbsthilfegruppen für seelische Gesundheit, auch die Anonymen Arbeitssüchtigen können Betroffene kontaktieren. Erst wenn das nicht reicht, sind die Profis gefragt. Psychotherapie oder sogar die stationäre Rehabilitation können dann helfen. Es gibt viele Therapeuten, die sich auf das Thema Sucht spezialisiert haben. Allerdings kann es dabei nur selten eine permanente Heilung geben, sagt Poppelreuter. „Ziel einer Behandlung kann nicht die Abstinenz sein, dazu ist Arbeit zu wichtig und notwendig.“

Von Verena Wolff (dpa)