Man ist so alt, wie man sich fühlt. Wie wahr dieser Satz ist, zeigt der Fotograf Karsten Thormaehlen. Seine Porträtfotos von 100-Jährigen gingen um die ganze Welt und zeigen, wie das Leben jenseits der Siebzig weitergehen kann.
Redaktion: Haben Sie damit gerechnet, dass Ihre Fotoserie „Jahrhundertmensch“ so erfolgreich sein würde?
Karsten Thormaehlen: Überhaupt nicht. Wissen Sie, was witzig ist? Die Bilder wollte am Anfang niemand haben. Nicht mal Zeitschriften hatten Interesse.
Was ist dann passiert?
Dann kam der Zufall. Der „Spiegel“ hat eine Geschichte über 100-Jährige veröffentlicht. Die Reportage erregte großes Aufsehen und die Autorin wurde dafür mit dem EMMA-JournalistInnenpreis ausgezeichnet. Plötzlich interessierten sich die Menschen für meine Fotos. Was der Artikel mit Worten sagt, drücke ich in Bildern aus.
Und was wäre das?
Die Bilder zeigen, dass das Altwerden nichts Schlimmes ist, dass es sich lohnt, aktiv zu bleiben, und dass man auch im Alter Spaß haben kann. In „Silver Heroes“ porträtiere ich beispielsweise über 70-Jährige, die ihr Leben lang Sport getrieben haben und im Alter natürlich nicht damit aufhören – manche haben sogar erst im Alter damit angefangen. Da gab es eine Nonne, die mit 82 immer noch am Ironman, also einem Langstrecken-Triathlon, teilnahm.
Der mehrfach ausgezeichnete Fotograf Karsten Thormaehlen beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der alternden Gesellschaft. Seinen ersten internationalen Erfolg feierte er mit der Wanderausstellung „Jahrhundertmensch“. Die über 40 Porträts entstanden zwischen 2006 und 2011. „Silver Heroes“ wurde im Jahr 2013 von der Robert Bosch Stiftung für den Deutschen Alterspreis nominiert. Informationen zu aktuellen Ausstellungen gibt es auf Thormaehlens Website sowie auf der Webpräsenz des Projekts „Jahrhundertmensch“.
Die Lebensfreude entscheidet
Blenden Sie da nicht einen Teil der Realität aus? Vielen Älteren fällt selbst der Gang zum Supermarkt schwer.
Natürlich bauen viele Menschen im Alter ab oder müssen gepflegt werden. Aber das ist eben auch nur eine Seite der Medaille. Tatsächlich hat es mich selbst überrascht, wie gesund und zufrieden die Leute waren, die ich fotografiert habe.
Auch die 100-Jährigen?
Die ganz besonders. Ich glaube ohne ihre positive Lebenseinstellung wären sie niemals so alt geworden. Man sagt zwar, dass Pessimisten länger leben, weil sie vorsichtiger sind. Aber ein Mensch, der alles schwarz sieht, sich nicht auf den nächsten Tag freut, wird bestimmt keine hundert.
Nehmen sich Ihre Modelle eigentlich selbst als alt war?
Dass sie es sind, wissen sie natürlich – aber die wenigsten fühlen sich tatsächlich so alt. Die meisten fühlen sich jünger und können selbst kaum glauben, dass sie schon so lange leben.
Ein Blick über den Tellerrand
Sie haben nicht nur in Deutschland fotografiert. Gibt es Unterschiede?
In Japan und Italien denken die Leute weniger über das Altwerden nach. Das Alter hat dort einen anderen Wert – zumindest habe ich das so wahrgenommen. Auf Sardinien gibt es beispielsweise kaum Altenheime und alte Menschen werden wie ein Schatz gepflegt. Sie leben zu Hause bei ihrer Familie und packen an, wo sie können.
Und in Japan?
Dort ist es ähnlich. Hundert zu sein ist nicht der Rede wert. Viele, die ich fotografiert habe, dachten deshalb, sie müssten mich noch mit irgendetwas anderem als ihrem Alter beeindrucken.
Zum Beispiel?
Eine Frau nähte in ihrer Freizeit jeden Tag kleine, mit Reis gefüllte Stoffbällchen, für ihre Urenkel. Als ich sie fragte, was man mit den Säckchen macht, stand sie auf und begann zu jonglieren. Andere arbeiten im Garten oder helfen bei der Ernte. Im Süden Japans gibt es sogar Farmen, die ausschließlich von über 70-Jährigen betrieben werden.
Wie alt möchten Sie selbst werden?
Natürlich möchte ich alt werden – solange die Lebensqualität stimmt, ich neugierig bleibe und weiterhin fotografieren kann. Als nächstes werde ich übrigens ältere Fotografen porträtieren, die ihr Leben hinter der Kamera verbracht haben. Da werde ich sehen, was die Zukunft bringt.