Rollstuhlfahrer und andere Menschen mit Beeinträchtigungen tun sich beim Arztbesuch oft schwer – die wenigsten Praxen sind ohne Stufen oder Treppen zu erreichen.
Der Großteil der rund 100.000 Arztpraxen in Deutschland ist nicht ohne Stufen oder Treppen zu erreichen. Das geht aus einer der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervor. Demnach verfüge nur gut jede dritte Praxis (34,4 Prozent) über mindestens ein Merkmal der Barrierefreiheit. Solche Merkmale sind etwa barrierefreier Zugang, barrierefreie Räumlichkeiten, auch Leitsysteme für Menschen mit Sehbehinderung zählen dazu.
Bei Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) sei der Anteil der barrierefreien Einrichtungen mit 45,9 Prozent deutlich höher. Denn MVZ hätten sich in der Regel erst in den vergangenen zehn Jahren etabliert. Sie verfügten über eine etwas modernere Bausubstanz. Die Regierung beruft sich bei ihren Angaben auf die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).
Die Linke-Sozialexpertin Sabine Zimmermann, die die Anfrage gestellt hatte, nannte es „überaus bedauerlich“, dass in nur so wenigen Arztpraxen Patienten mit Beeinträchtigungen behandelt werden könnten.
„Unter anderem Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer können in vielen Praxen nicht behandelt werden, angefangen damit, dass keine behindertengerechten Parkplätze zur Verfügung stehen, über den nicht ebenerdigen Zugang oder nicht vorhandenen Aufzug, bis hin zu den nicht rollstuhlgerechten Praxisräumen“, sagte Zimmermann der dpa. De facto sei für viele Menschen mit Beeinträchtigungen die gesetzlich verbriefte freie Arztwahl daher nicht gewährleistet.
Die KBV sieht es als Aufgabe an, dass Menschen mit Handicap Zugang zu den Praxen hätten, wie ein Sprecher der dpa sagte. „Bei Neubauten gelten strengere Vorschriften entsprechend dem aktuellen Baurecht“, erläuterte er. Ältere Praxen barrierefrei zu machen, sei teilweise allerdings mit hohen Kosten verbunden. Dem einzelnen Arzt seien die nötigen Investitionen oft nicht zuzumuten. Die KBV rege daher entsprechende Programme der Staatsbank KfW oder anderer Förderbanken an.
Zimmermann forderte: „Die Bundesregierung muss deutlich mehr für die Barrierefreiheit von Arztpraxen tun.“ Hier müsse es auch darum gehen, Geld zur Verfügung zu stellen und die Ärzte zu unterstützen. „Im Jahr 2009 trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft, die Menschen mit Behinderungen Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährleisten soll“, sagte sie. „Dieses Ziel muss dringend umgesetzt werden.“
Ähnlich äußerte sich die neue Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele. „Die Politik muss endlich dafür sorgen, dass Einrichtungen und Angebote der medizinischen Versorgung barrierefrei zugänglich sind“, forderte Bentele am Montag. Ihr Verband fordere ein KfW-Förderprogramm im Umfang von 80 Millionen Euro zum barrierefreien Umbau von Arztpraxen. Davon profitierten nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Ältere und alle, die zeitweise in ihrer Mobilität eingeschränkt seien.
Die gesetzlichen Krankenkassen sehen auch die Ärzte in der Verantwortung. „Eine Berufsgruppe, die sich vor allem um Kranke kümmert, sollte von diesen auch gut zu erreichen sein. Hier scheinen sich die niedergelassenen Ärzte mehr anstrengen zu müssen“, sagte der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz, der dpa.
Von Basil Wegener (dpa)