Dass die Bakterien, die sich in unserem Darm tummeln, unsere Gesundheit beeinflussen, ist seit längerem bekannt. Wie sie das genau tun, darüber wird noch gerätselt. Forscher aus Tübingen wollen die Zusammenhänge nun entschlüsseln – durch die Analyse von Stuhlproben.
Alles, was man braucht, ist ein Wattestäbchen, einen Briefumschlag und ein ordentliches Häufchen. Mit dem Stäbchen entnimmt man seinem Stuhl eine stecknadelkopfgroße Portion, gibt sie in ein kleines Döschen und schickt den fäkalen Gruß nach Tübingen – genauer gesagt an die Wissenschaftler des Forschungsprojektes Tübiom. Die Molekularmediziner haben es sich zur Aufgabe gemacht, die eingeschickten Stuhlproben zu analysieren. Nicht als Selbstkasteiung, sondern für den medizinischen Fortschritt.
„Die Untersuchungsergebnisse werden in einer Referenz-Datenbank gesammelt“, erklärt Isabell Flade vom Center for Metagenomics (CeMeT), die das Projekt leitet. Das Ziel der Tübinger: Herauszufinden, wie unser Ess- und Trinkverhalten, aber auch Lifestyle und bestimmte Krankheiten unser Darm-Mikrobiom beeinflussen, also all die Bakterien, Viren und Pilze, die unseren Verdauungsapparat bevölkern. Ist das geschafft, soll die Datenbank die Diagnostik im ärztlichen Alltag verbessern und dabei helfen Krankheiten wie Diabetes und Morbus Crohn früher zu erkennen. „Vielleicht kann die Mikrobiom-Analyse irgendwann sogar die Darmspiegelung ersetzen“, hofft Flade.
Stuhlgangtransplantation – Fäkalien als Therapie
Bis dahin ist jedoch noch einiges zu tun. Bislang weiß die Wissenschaft tatsächlich nicht besonders viel über die Einzeller, die sich in unserem Darm tummeln. „Ehrlich gesagt wissen wir nicht einmal, wie ein ‚normales’ Darm-Mikrobiom aussieht“, gesteht Flade. Dass die Billionen von Bakterien und Pilzen nicht nur nützliche Verdauungshelfer sind, sondern auch Auswirkungen auf unsere Gesundheit sowie unser seelisches Wohlbefinden haben, dafür gibt es jedoch zahlreiche Hinweise.
Patientendaten, die Gastroenterologen der McMaster University in Kanada über acht Jahre gesammelt und ausgewertet haben, legen beispielsweise nahe, dass Menschen mit Depressionen ein erhöhtes Risiko haben, einen chronischen Reizdarm zu entwickeln. Forscher vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) sehen gar einen Zusammenhang zwischen einem gestörten Darm-Mikrobion und der Entstehung von Parkinson. Die Wissenschaftler injizierten Mäusen das Protein Alpha-Synuclein in die Darmwand – ein Protein, das sich bei Parkinson-Patienten vermehrt im Gehirn ablagert – und beobachteten, wie es von dort über die Nervenfasern direkt ins Gehirn wanderte.
Auch in der Therapie haben Darmbakterien bereits ihren Platz gefunden – und zwar in der sogenannten Stuhltransplantation. Um chronische Darmerkrankungen wie Reizdarm, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa zu heilen, wird den Betroffenen der Stuhl eines gesunden Menschen zugeführt. Und die Methode ist überraschend einfach: Alles, was es braucht, ist eine Stuhlspende von 50 bis 100 Gramm. Dann wird das Häufchen mit Kochsalzlösung verflüssigt und so lange gefiltert und gerührt, bis das braune Gemisch keine festen Partikel mehr enthält. Serviert wird die braune Flüssigkeit dann über eine in den Darm reichende Nasensonde oder per Koloskop im Rahmen einer Darmspiegelung.
Dass die Umsiedelung der Darmflora mehr ist als eine Spielerei, zeigt eine Untersuchung der Universität von Amsterdam (UvA): 15 von 16 Durchfallpatienten konnten Ärzte mit dieser Methode heilen.
Einzelfallberichte sind nicht repräsentativ
„Bei den Studien, die sich mit unseren Darmbakterien beschäftigen, handelt es sich jedoch überwiegend um Projekte mit kleinen Patientenkohorten oder Einzelfallberichte“, gibt Flade zu bedenken. Dazu kommt, dass die Forscher die Bakterien-DNA in der Regel mit unterschiedlichen Verfahren analysieren. Ihre Studienergebnisse sind damit kaum vergleichbar.
Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Kausalität. Ob die Unterschiede im Mikrobiom nun die Ursache oder die Folge einer Erkrankung sind, ist tatsächlich schwer zu sagen. Eine Patientin, die sich mit dem Clostridium difficile infiziert hatte – das Bakterium kann schwere Darmentzündungen auslösen –, ließ sich beispielsweise das Mikrobiom ihrer Tochter transplantieren. Die Entzündung verschwand, allerdings nahm die zuvor schlanke Frau erheblich zu. Schuld daran könnte die Darmflora ihrer Tochter gewesen sein – sie war fettleibig. Der Zusammenhang scheint einleuchtend, kann jedoch auch reiner Zufall sein.
Isabell Flade und ihr Team geben sich deshalb nicht mit einigen Hundert Teilnehmern zufrieden. Bis Ende 2017 wollen die Tübinger Mikrobiologen mindestens 10.000 Stuhlproben analysiert haben. Und der aktuelle Stand kann sich sehen lassen: Anfang 2016 ist das Projekt gestartet. Seitdem haben sich bereits an die 6000 Personen auf der Plattform angemeldet – etwas mehr als die Hälfte hat seine luftdicht verpackte „Ware“ bereits eingeschickt. Eine der Proben brauchte nicht mal frankiert zu werden – die wurde von Flade eingetütet.