Professor Andreas Mühlenberend ist Industriedesigner und arbeitet mit Firmen wie Otto Bock an der Entwicklung neuer Medizinprodukte. Seine Rückenbandage „Lumbo TriStep“ wurde unter anderem mit dem renommierten Designpreis der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Uns erzählt er, worauf es bei der Gestaltung von Hilfsmitteln ankommt und was die Orthese so besonders macht.
Redaktion: Was interessiert Sie als Designer an Medizinprodukten?
Andreas Mühlenberend: Ich finde den menschlichen Körper faszinierend und möchte wissen, wie er funktioniert. Dazu kommt eine persönliche Geschichte. Mit 15 Jahren sind mir alle Haare ausgefallen. Damals erfuhr ich, wie es ist, wenn man anders ist und wenn fremde Menschen einen auf der Straße anstarren.
Keine angenehme Erfahrung.
Eine Glatze ist eigentlich nur ein kosmetisches Problem. Trotzdem musste ich lernen, zu ihr zu stehen. Diese Erfahrung habe ich für mich genutzt und weitergegeben. Hilfsmittel wie Orthesen und Prothesen sollten einen Menschen daher nicht nur funktional versorgen, sondern ihm auch seelisch Zuversicht geben und Mut machen.
Wie kann das funktionieren?
Nehmen wir zum Beispiel die Prothesen der Orthopädietechnikerin und Künstlerin Sophie de Oliveira Barata. Die Londonerin bezieht ihren Klienten in den Gestaltungsprozess ein und überlegt mit ihm gemeinsam, wie die Prothese am Ende aussehen soll. Was dabei rauskommt, sind echte Kunstwerke, die der Persönlichkeit des Betroffenen entsprechen. Das schafft Selbstvertrauen.
Die Orthese passt sich selbstständig dem Körper an
Krankenkassen zahlen für solche individuellen Lösungen allerdings nicht.
Stimmt. Als Industriedesigner versuche ich daher, Produkte zu entwickeln, die in Serie hergestellt werden können und dennoch wie angegossen passen.
Haben Sie ein Beispiel?
Die „Lumbo TriStep“ ist eine Rückenbandage für Menschen mit unterschiedlichen Problemen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Die Orthese besteht aus einzelnen Lamellen, die sich selbstständig dem Körper anpassen. Wir nennen das Autoadaptivität. Es soll nicht großspurig klingen, aber das ist ein Paradigmenwechsel in der Versorgung.
Und wieso?
Bislang war man eher der Meinung, dass Menschen, die beispielsweise eine Fehlstellung der Wirbelsäule haben und gestützt werden müssen, feste Lösungen brauchen, also eine harte Schale, die den Körper ordentlich hält.
Und das stimmt nicht?
Ein gesunder Körper ist flexibel. Wird die Wirbelsäule aber permanent gestützt, baut sie Haltemuskulatur ab. Das schafft neue Probleme. Deshalb sollte eine Orthese dem Körper nicht die ganze Arbeit abnehmen, sondern ihn wirklich nur dort halten, wo er es braucht. Eine andere Herausforderung war etwa die Gestaltung der Ränder. Schließen die nicht richtig ab, oder ist das verwendete Material zu hart, entstehen schmerzhafte Druckstellen – und das kommt bei Orthesen tatsächlich häufig vor.
Individuelle Maßanfertigungen in Serie
Wie haben Sie das Problem gelöst?
Wir haben einen weichen elastischen Saum entworfen. Die einzelnen Lamellen der Orthese sind am Rand des Produktes sehr elastisch und werden zur Mitte des Produktes hin immer fester. So entsteht ein fließender Übergang zwischen Körper und Produkt, der unnötigen Druck vermeidet.
Wie steht es um die Freiheit im Design, wenn Sie für Firmen wie Otto Bock arbeiten?
Manchmal gibt es tatsächlich sehr strikte Vorgaben, an die man sich halten muss. In diesem Fall hatte ich jedoch das Glück, in einem interdisziplinären und sehr offenen Team zu arbeiten. Außerdem wollten wir keine Orthese entwickeln, die dies und jenes kann, sondern ein Produkt, das Menschen hilft, aufrecht zu gehen. Das ist eine viel offenere Aufgabenstellung, die Raum für neue Ansätze lässt.
Woran arbeiten Sie aktuell?
Momentan tüftle ich in Weimar mit meinen Studenten an der Bauhaus-Universität an neuen Möglichkeiten von körpernahen Designs sowie am 3D-Druck. Diese Technik wird uns helfen, individuelle Maßanfertigungen in Serie zu produzieren. Aber das wird vermutlich noch ein bisschen dauern.