In ihrem „Alternative Limb Project“ stellt die Orthopädietechnikerin und Künstlerin Sophie de Oliveira Barata Prothesen her, die weit mehr sind als der funktionale Ersatz eines fehlenden Körperteils.
Mit zwei Jahren hatte Pollyanna Hope einen schweren Verkehrsunfall und verlor ihr linkes Bein. Sie bekam eine Prothese. Und da eine Zweijährige naturgemäß wächst, brauchte das Mädchen jedes Jahr eine neue. Doch mit der Zeit fand Pollyanna die immer gleichen, nämlich möglichst naturgetreuen Nachbildungen ihres verlorenen Beines nur noch langweilig. Sie wollte etwas Neues, etwas Witziges.
Glücklicherweise hatte ihre Orthopädietechnikerin Sophie de Oliveira Barata zuvor einen Kurs zu „Special Effects Make-up“ für Film & TV an der University of the Arts in London absolviert – und deshalb konnte sie Pollyannas Wunsch erfüllen. Auf deren nächste Prothese lackierte de Oliveira Barata eine Szene aus der britischen Zeichentrickserie „Peppa Pig“: ein paar rosa Schweinchen, die auf dem Fahrrad sitzen und gemeinsam Eis essen.
Die Begegnung mit dem Mädchen war für de Oliveira Barata der Startschuss. 2011 gründete die Londonerin das „Alternative Limb Project“. Das Ziel: Ihre Prothesen sollten der Persönlichkeit des betroffenen Menschen entsprechen.
Prothesen als modische Accessoires
Für die Herstellung der Prothesen arbeitet de Oliveira Barata eng mit ihren Klienten zusammen. Sie treffen sich in ihrer Werkstatt in der Nähe von Harlesden, einem Stadtteil im Norden Londons, tauschen Ideen aus und überlegen gemeinsam, wie die neue Prothese aussehen soll.
Damit de Oliveira Barata ihre Kunden besser einschätzen kann, bittet sie diese, Bilder zu sammeln, die ihnen gefallen – oft kommen dabei an die 100 Stück zusammen. Die Inhalte sind egal, wichtig ist nur, dass sie die Klienten in irgendeiner Weise ansprechen. So findet de Oliveira Barata heraus, welche Themen die Personen interessieren und welche Materialien und Farben sie mögen.
Eine der ersten Prothesen, die de Oliveira Barata fertigte, war das „crystal leg“ (deutsch: „Kristallbein“) für die Performerin und Sängerin Viktoria Modesta, mit dem die junge Lettin bei den Paralympics 2012 in London auftrat. Das Ergebnis ist ein echtes Kunstwerk. Die Prothese – Modesta wurde mit 20 Jahren der linke Unterschenkel amputiert – glitzert weißmetallisch und ist von oben bis unten mit Strasssteinen, kleinen Spiegeln und Swarovski-Kristallen besetzt. Die Prothese machte Schlagzeilen.
Experimente mit dem 3D-Drucker
Ganz anders ist die Prothese, die Sophie de Oliveira Barata für den Soldaten Ryan Seary herstellte. Der junge Mann hatte seinen linken Arm und das linke Bein 2009 während eines Einsatzes in Afghanistan verloren. Für ihn baute die Prothesen-Künstlerin das „anatomical leg“ (deutsch: „anatomisches Bein“), eine hyperrealistische und gleichzeitig futuristische Nachbildung seines Beines.
Der Fuß sieht absolut echt aus. Auf die Zehen hat de Oliveira Barata sogar kleine Härchen von Searys Nacken transplantiert. Das restliche Bein ähnelt dem eines Roboters. Es glänzt blaumetallisch; die einzelnen Elemente hat de Oliveira Barata mit Silikon überzogen und so gestaltet, dass sie wie Muskeln und Knochen aussehen. Bunte Nylonfasern formen die Sehnen. Das Ergebnis beschreibt Seary als „herrlich“.
Um den Wünschen und Ideen ihrer Klienten gerecht zu werden, arbeitet die Londonerin mit Künstlern, Grafikern und spezialisierten Technikern zusammen – je nachdem, welches Material bei der Verarbeitung im Vordergrund steht. Seit Neuestem experimentiert sie auch mit 3D-Druckern – eine Technik, mit der sie die Nylonfäden des „anatomical leg“ hergestellt hat.
https://www.youtube.com/watch?v=yS52YnrAsMY
Zwischen 700 und 6000 Pfund kosten de Oliveira Baratas Prothesen – je nachdem, wie aufwendig die Herstellung ist und welche Materialien sie verwendet. Krankenkassen übernehmen die zusätzlichen Kosten bislang nicht.
Zwölf Jahre alt und selbstbewusst
Die Eltern von Pollyanna wollen ihre Erfahrungen nun weitergeben. Dazu haben sie die „Elizabeth’s Legacy of Hope“ (ELoH) gegründet, eine gemeinnützige Organisation, die sich weltweit für die prothetische Versorgung von Kindern engagiert.
Auf der Website der ELoH gibt es ein Bild von Pollyanna. Die mittlerweile Zwölfjährige steht auf einem kleinen Hocker, lächelt selbstbewusst in die Kamera und sieht absolut nicht gelangweilt aus. Auf der Prothese, die sie heute trägt, hat de Oliveira Barata keine kleinen rosa Schweinchen verewigt, sondern Fotos von Pollyanna und ihrer Familie.