Ganganalyse leistet medizinische Detektivarbeit

Der Sturzteppich im Uni Spital Basel. Ganganalyse.

© Martin Töngi

An der Art, wie Menschen gehen, wollen Forscher nun deren Sturzrisiko ablesen können. Aber auch die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten Jahren eine Demenz zu entwickeln, soll am Gang sichtbar werden.

Die 72-jährige Patientin setzt einen Fuß vor den anderen. Dann kommt sie ins Straucheln und muss einen Moment stehen bleiben, bevor sie weitergehen kann. “Die Frau wurde uns von ihrem Hausarzt überwiesen”, erklärt Dr. Stephanie Bridenbaugh. In den letzten Monaten war sie ohne ersichtlichen Grund mehrere Male gestürzt. Erste medizinische Untersuchungen zeigten keine Auffälligkeiten. Sie setzte deshalb auf einen gänzlich anderen Versuchsaufbau: Sie analysierte den Gang der Patientin. Was sie fand, waren erste kognitive Beeinträchtigungen der Hirnleistung, häufig ein Vorbote von Demenz.

Studiendesign

Die Ergebnisse der Studie beruhen auf einer Untersuchung des Basel Mobility Centers. An der Studie nahmen 1.153 Probanden (Durchschnittsalter: 77 Jahre) teil. Etwa ein Viertel von ihnen war gesund und wies keinerlei kognitive Auffälligkeiten auf. Ein weiteres Viertel zeigte bereits erste Vorstufen der Demenz. Bei den übrigen Teilnehmern handelte es sich um Menschen mit Alzheimer. Personen mit physischen Problemen wie beispielsweise Arthritis waren von der Studie ausgeschlossen.

Ganganalysen zeigen kognitive Störungen

Stephanie Bridenbaugh ist Ärztliche Leiterin des Basel Mobility Centers am Felix Platter-Spital. Ihre Forschungsergebnisse präsentierte sie im September 2014 auf dem 5. Demografiekongress in Berlin. Andere Forscher* haben bereits gezeigt: Ändert sich bei einer älteren, zu Hause lebenden Person die Schrittlänge um nur 1,7 cm, so verdoppelt sich ihr Risiko, in den nächsten sechs Monaten zu stürzen. Und die Forscher fanden noch etwas heraus: Je größer die Unregelmäßigkeiten der Schritte, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten fünf Jahren eine Demenz zu entwickeln.

 

© Martin Töngi

Mit dem bloßen Auge sind solche Gangstörungen nur schwer zu erkennen. Im Basel Mobility Center wird deshalb ein mit Sensoren ausgestatteter elektronischer “Gangteppich” verwendet. Er misst die Anzahl der Schritte pro Minute sowie die Variabilität der Schrittfolge. Viele Abweichungen sind jedoch oft so minimal, dass es schwierig ist, eindeutige Aussagen zu treffen.

Bridenbaugh und ihr Team haben deshalb einen zweiten Test entwickelt: Nach der ersten Laufprobe müssen die Patienten ein weiteres Mal über den Teppich gehen und gleichzeitig eine Denkaufgabe wie beispielsweise rückwärts Zählen lösen. Durch eine solche Doppelbelastung werden manche Störungen selbst ohne Messapparatur deutlich sichtbar.

Gleichzeitig gehen und zählen als Herausforderung

So auch im Fall der 72-jährigen Frau. Ihr Gang schien auf den ersten Blick regelmäßig. Erst beim gleichzeitigen Gehen und Zählen kam sie ins Stocken und schaffte es kaum bis zum Ende des Teppichs. Aber warum werden bestimmte Gehprobleme erst im zweiten Testverfahren auffällig? Forscher begründen dies mit der sogenannten “motorisch-kognitiven Interferenz”.

Gehfähigkeit verbessern

Die Gehfähigkeit kann sich nicht nur verschlechtern, sie kann sich auch verbessern. Schon Tanzen, Tai chi oder einfache Bewegungsübungen können dabei helfen, den Gang einer Person sicherer zu machen und ihre Sturzgefahr zu reduzieren.

Im Alter müssen viele Menschen verschiedene körperliche Veränderungen kompensieren – etwa die Abnahme der Muskelkraft, des Hörvermögens oder der Sehstärke. Für die meisten ist das kein Problem, da sie genügend Aufmerksamkeitsreserven besitzen. Andere jedoch, deren geistige Leistungsfähigkeit abgenommen hat, können selbst von einfachen Alltagsaufgaben wie dem Gehen und gleichzeitigen Tragen eines Tellers überfordert sein: Sie werden langsamer, bleiben stehen oder stolpern.

Vorbeugung: Vom Labor in die Praxis

Die Ganganalyse könne zwar keine umfassende neuropsychologische Untersuchung ersetzen, betont Bridenbaugh. Aber sie helfe dabei, ein erhöhtes Sturz- und Demenzrisiko frühzeitig zu erkennen. Hierfür brauche es auch nicht gleich die exakte Analyse, etwa mit einer elektronischen Gangteppich. Hausärzte könnten ihre Patienten einfach mal während des Gehens ins Gespräch verwickeln. “Bleibt die Person stehen, um zu antworten”, so Forscherin Bridenbaugh, “weist das vielleicht schon auf ein erhöhtes Sturzrisiko hin.”

 

https://www.youtube.com/watch?v=z9gD4AkI4lM

* Brian Maki (1997): Gaint changes in older adults: Predictors of falling or indicators of fear? Und: Joe Verghese (2007): Quantitative gaint dysfunction and risk of cognitive decline and dementia.