Königin Marie Antoinette ergraute während der Französischen Revolution über Nacht – so geht zumindest die Legende. Doch können unsere Haare tatsächlich von einem Tag auf den anderen ihre Farbe verlieren?
Die Antwort lautet nein. Haare sind pigmentierte, tote Hornfäden und bestehen größtenteils aus Keratin – wie die Hornhaut oder Finger- und Zehennägel. Für ihre Farbigkeit sorgt das Pigment Melanin. Und ist dieses erst einmal in unseren Haaren drin, bleibt es dort auch.
Wie entsteht Melanin?
Mithilfe der farblosen Aminosäure Tyrosin. Dieser Baustein kommt überall in unserem Körper vor. Den meisten unserer Zellen ist er jedoch ziemlich egal. Eine Ausnahme sind die Melanozyten – unsere Pigmentzellen. Sie befinden sich in der Oberhaut (lat. Epidermis) und in unseren Haarfollikeln. Follikel sind kleine Bläschen, die unsere Haarwurzeln in der Haut verankern und so dafür sorgen, dass unsere Haare nicht ausfallen.
Was die Melanozyten dort machen? Mithilfe spezieller Enzyme wandeln sie die Aminosäure Tyrosin in den Farbstoff Melanin um und lagern ihn im Haar ein. Damit wir am Ende nicht alle dieselbe Haarfarbe haben, stellen die Melanozyten, diese kreativen Koloristen, zwei unterschiedliche Pigmente her: das schwarz-braune Eumelanin und das rote Phäomelanin. Welches Pigment letztendlich produziert wird, darüber entscheiden unsere Gene. Ob unsere Haarschopf am Ende blond, rot oder dunkel wirkt, hängt vom Mischverhältnis der Pigmentarten ab.
Wie wachsen Haare?
Motor des Haarwachstums ist die Haarzwiebel. Ihr Kern ist die Haarpapille, die größtenteils aus Bindegewebe besteht. Über ihre Blutgefäße wird sie mit Nährstoffen versorgt, die dafür sorgen, dass unser Haar wächst. Haare wachsen jedoch nicht alle im selben Rhythmus, sondern in jedem Follikel wechseln sich Phasen von Wachstum, Ruhe und Rückbildung ab. Diesen Zyklus steuern unter anderem Hormone und Gene.
Wie werden unsere Haare denn nun grau?
Sie werden es gar nicht. Tatsächlich gibt es keine grauen, sondern nur weiße Haare. Schuld daran, dass wir ergrauen, ist in erster Linie Wasserstoffperoxid – ein Nebenprodukt unseres Stoffwechsels, das auch als Bleichmittel bekannt ist. Mit zunehmendem Alter tun sich unsere Zellen immer schwerer damit, diesen Bleichmacher abzubauen und er sammelt sich überall in unserem Körper an – also auch im Haar. Dort greift das Wasserstoffperoxid das Enzym Tyrosinase an, was dazu führt, dass unsere Melanozyten nicht mehr ausreichend Melanin herstellen können. Die Farbstoffproduktion ist lahmgelegt.
Statt der braunen und roten Pigmente lagern die Melanozyten nun einfach (farblose) Luftbläschen ins Haar ein, die das Auge als weiß wahrnimmt. Durch die Mischung mit den noch farbigen (also pigmentierten) Haaren wirkt unser Haarschopf mehr oder weniger grau. Irgendwann quittieren die Pigmentzellen dann komplett ihren Dienst und verabschieden sich in den Ruhestand. Die Folge: komplett weißes Haar.
Aufpassen: Verringert sich die Tyrosinproduktion schon in sehr jungen Jahren, kann auch eine Krankheit wie die Stoffwechselstörung Phenylketonurie dahinterstecken. Dies sollte vom Arzt abgeklärt werden.
Wann werden wir grau?
Wann genau der Abbau von Wasserstoffperoxid unseren Körper überfordert und die Arbeitsverweigerung unserer Melanozyten einsetzt, lässt sich nicht voraussagen. Europäer bekommen im Schnitt mit 34 ihr erstes graues Haar – Afroamerikaner hingegen erst mit etwa 44. Die Toleranz ist allerdings groß: Das Ergrauen kann im Einzelfall auch zehn Jahre früher oder später beginnen. Ebenso kann unser Lebensstil beeinflussen, wann unser Haar weiß wird.
Das Gen IRF4
Wann genau unsere Haare weiß werden, bestimmen größtenteils unsere Gene – genauer gesagt das IRF4. Das fanden Wissenschaftler vom Londoner University College heraus. Wie genau das Gen funktioniert und ob sich mit seiner Hilfe das Ergrauen aufhalten lässt, wissen die Forscher allerdings noch nicht.
Was hat unser Lebensstil mit dem Grauwerden zu tun?
Beispiel: Stress. Er schlägt uns nicht nur auf die Nieren, sondern trifft auch die Haarwurzeln. Diese sind von einem engmaschigen Nervennetz umgeben und dadurch sehr sensibel. Die Nerven enden in den Follikeln. Durch Stress werden Botenstoffe wie Cortisol und Adrenalin ausgeschüttet. Diese können die Arbeit unserer haarproduzierenden Zellen, die – wie wir gelernt haben – in den Follikeln sitzen, stören und dazu führen, dass weniger Farbstoff gebildet wird: Das Haar wird weiß-grau. Im schlimmsten Fall entzünden sich die Follikel sogar und das Haar fällt aus.
Auch schlechte Ernährung, viel Alkohol und Nikotin können die Melaninproduktion beeinträchtigen und das Weißwerden unsere Haare beschleunigen.
Und wie war das nun bei Marie Antoinette?
Vermutlich so: Durch den jahrelangen Stress während der Französischen Revolution wuchsen auf dem königlichen Kopf mehr weiße Haare und dazu fielen ihr die noch pigmentierten verstärkt aus. Das Ergebnis: Sie schien überraschend schnell zu ergrauen. Vielleicht war es ihr im Gefängnis aber auch einfach nicht mehr gestattet, die Haare zu färben.