Ob zu Hause oder im Job – wir schreiben immer seltener mit dem Stift. Schade eigentlich. Denn das fördert unser Denkvermögen.
Blicken wir kurz zurück: Schreiben zu lernen ist anstrengend. Der Stift muss richtig gehalten, die Buchstaben mit dem passenden Schwung aufs Blatt gebracht werden. Das erfordert ein Höchstmaß an feinmotorischer Raffinesse und – wie bei jeder Kunst – viel, viel Übung.
… Wer schreibt da eigentlich?
Darüber, dass wir schreiben und auch was wir schreiben, entscheiden Scheitel- (lat. lobus parietalis) und Stirnlappen (lat. lobus frontalis). Sie haben die Befehlsgewalt. Doch dafür, dass unsere Schrift leserlich ist, sorgt unser Kleinhirn – in der Fachsprache auch Cerebellum genannt. Es sitzt unterhalb des Großhirns, koordiniert unsere Motorik und wacht darüber, dass unsere Bewegungen ablaufen wie gewünscht.
Verletzungen und Ausfälle
Ist das Kleinhirn verletzt, kommt es zu sogenannten Ataxien (griech. ataxia ἀταξία „Unordnung“‚ „Unregelmäßigkeit“) – einer Störung der Halt- und Bewegungsabläufe. Meist äußern sie sich in unkontrollierten und überschüssigen Bewegungen. Das heißt: Der Gang wird schwankend, die Hände beginnen zu zittern und die Betroffenen greifen daneben, wenn sie etwas heben wollen.
Weitere Mitspieler sind die Basalganglien (lat. nuclei basales), kleine „Kerne“ unterhalb der Großhirnrinde. Von diesen Kernchen haben wir eine ganze Menge. Für die Motorik sind vor allem drei von ihnen entscheidend, meinen die Forscher. Sie filtern die eingehenden Informationen und entscheiden, wie viel Kraft wir für einen Handgriff einsetzen und auch, wie schnell wir zupacken; ob beim Schreiben oder beim Fangen, etwa eines Hühnereis. Passt nur einer der drei Wachtmeister nicht richtig auf, ist es um das Ei geschehen – oder um die Leserlichkeit eines Wortes.
Kleinhirn und Basalganglien lösen also keine Bewegungen aus, sind aber für deren Kontrolle unerlässlich. Fällt das Kleinhirn aus, sind wir zwar nicht gelähmt, mit der Koordination unserer Handgriffe wird es aber extrem schwierig. Entsprechend sähe unsere Handschrift aus wie die eines Erstklässlers.
… Wie merke ich mir, wie man schreibt?
Das Kleinhirn hat noch eine andere Aufgabe: Es sorgt dafür, dass wir unsere mühsam erlernten Bewegungen nicht vergessen. So erklärt sich ein weiterer überraschender Fakt: Tatsächlich beherbergt das Kleinhirn mehr als die Hälfte aller Nervenzellen unseres Gehirns, dabei macht es nur ein Zehntel von dessen Masse aus.
Wenn wir schreiben, hinterlässt das Spuren, nicht nur auf dem Papier. Jede Bewegung des Stiftes verstärkt bestehende Nervenzellverbindungen in unserem Kleinhirn oder schafft ganz neue. Wiederholen wir eine Bewegung, brennt sie sich in unser Gedächtnis ein; irgendwann erfolgt sie automatisch. Die Menge an Nervenzellverbindungen ist also nicht nur entscheidend für unsere Motorik, sie fördert auch unsere Denkleistung.
Auslaufmodell „Schreibschrift“
In Finnland – europaweites Vorbild in Sachen schulischer Bildung – muss die Schreibschrift ab 2016 nicht mehr unterrichtet werden. Der Grund: Das Verbinden der Buchstaben falle vielen Kindern zu schwer. Die gewonnene Zeit soll dann dazu genutzt werden, den Schülern das Tippen beizubringen.
Gilt das auch für das Schreiben am Computer?
Ja! Das Tippen auf Tastatur und Tablet hat den gleichen „Verbindungseffekt“. Allerdings wohl schwächer als beim Schreiben mit der Hand. Wissenschaftler der US-amerikanischen Princeton University wollten für eine Studie wissen, welche Studenten in einer Vorlesung mehr Informationen aufnehmen – die Stift- oder die PC-Schreiber. Ergebnis: Diejenigen, die mit der Hand notierten, konnten sich das Vorgetragene eindeutig besser merken.
Ein Schlüssel zur Persönlichkeit?
Für Graphologen (griech. graphein „Schreiben“) gibt es keinen Zweifel: Die Schrift eines Menschen ist ein Spiegelbild seiner Persönlichkeit. Auch der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel war sich sicher: „Die Schrift, und zwar in ihrer Besonderheit als Handschrift (…) ist Ausdruck des Innern (…).“
Um Schriftbilder zu deuten, benutzen Graphologen eine ganz eigene Typologie. Schreibt jemand beispielsweise die Buchstaben eng aneinander, deute dies auf einen selbstbeherrschten oder ängstlichen Menschen hin. Eine stark nach links kippende Schrift spreche hingegen für eine Weltzugewandtheit des Schreibers. Die Kunst besteht dann darin, die unzähligen Hinweise und Kriterien zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzufügen.
Eines sei allerdings auch erwähnt: Die Graphologie hat zwar viele Vertreter und auch Kunden – bis hinein in die Personalabteilungen von Unternehmen –, die meisten Wissenschaftler halten sie aber für Kaffeesatzleserei.
Am Schriftbild Krankheiten erkennen?
In jedem Fall eignet sich die Analyse von Handschriften zur Früherkennung neurologischer Erkrankungen. Parkinson, Alzheimer und Multiple Sklerose können geübte Ergotherapeuten mitunter bereits zwei Jahre vor Auftreten der klassischen Symptome diagnostizieren.
Aber Achtung: Nur weil sich unsere Schrift über die Jahre verändert, heißt das nicht, dass wir in zwei Jahren an Parkinson erkranken. Veränderungen sind ganz normal – besonders, wenn wir unsere Gedanken und Notizen fast nur noch digital verarbeiten (so wie die Autorin dieses Beitrags ;).