Als Joghurt, Käse oder pur: Kuhmilch kommt bei vielen Menschen täglich auf den Tisch. Jetzt warnen manche Forscher: Milch ist krebserregend. Andere halten das für Quark. Ein Faktencheck.
„Milch macht müde Männer munter“ – mit diesem Slogan warb die Milchindustrie in den Fünfzigerjahren um die Aufmerksamkeit der Kunden. Und so manches Kind musste lernen, dass nur groß und stark wird, wer Milch trinkt. Doch mittlerweile bekommt das Bild vom gesunden Nahrungsmittel Kratzer: Einige Forscher äußern den Verdacht, dass bestimmte Bestandteile von Milch Krebs verursachen können. Was ist dran an der These?
Die Bewertung
Tatsächlich gibt es vage Hinweise darauf, dass Kuhmilch Erreger enthält, die eine Entstehung von Krebszellen begünstigen könnten. Belastbare Forschungsergebnisse gibt es aber noch nicht.
Die Fakten
Anlass für die Vermutung, dass der Verzehr von Milch zur Entstehung von Krebs beitragen könnte, liefern unter anderem Beobachtungsstudien in Bevölkerungen, wie das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) berichtet. So gebe es zum Beispiel in Ländern mit hohem Milch- und Rindfleischkonsum auch hohe Darmkrebsraten.
Für Aufsehen sorgten im Februar neue Erkenntnisse des Medizin-Nobelpreisträgers Harald zur Hausen und des DKFZ. Die Forscher fanden in Kuhmilch und in Rindfleisch bislang unbekannte Erreger, von denen Gefahr für den Menschen ausgehen könnte. Die sogenannten Bovine Meat and Milk Factors (BMMF) stehen laut DKFZ im Verdacht, chronische Entzündungen zu verursachen, die wiederum ein höheres Risiko für Dickdarm- und möglicherweise auch für Brust- und Prostatakrebs zur Folge haben.
Für ihre Studie untersuchten zur Hausen und seine Kollegen Blutseren von Hunderten europäischen Milchkühen und analysierten Milch und Milchprodukte aus Supermärkten. Außerdem entnahmen sie Blutproben von gesunden Menschen und Darmkrebs-Patienten. Das Ergebnis war nach Aussage der Forscher deutlich: Die BMMF fanden sich nicht nur in den tierischen Produkten, sondern auch in den untersuchten menschlichen Zellen. Noch nicht zuverlässig abschätzen lasse sich hingegen, wie bedeutend die Erreger für die Entstehung von Tumoren seien.
Die Wissenschaftler vermuten, dass sich Menschen schon innerhalb ihres ersten Lebensjahres mit BMMF infizieren, weil ihr Immunsystem in diesem Zeitraum noch nicht ausgereift ist. Daraus folgern die Experten, dass Säuglinge nicht zu früh mit Kuhmilch gefüttert, sondern lieber bis zum zwölften Monat gestillt werden sollten. Im Erwachsenenalter hingegen nütze ein Verzicht auf Kuhmilch und Rindfleisch nichts, weil die Infektion dann bereits erfolgt sei.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hebt hervor, dass diese Erkenntnisse und Empfehlungen auf einer sehr dünnen Datengrundlage beruhen. Inwieweit BMMF das Krebsrisiko beeinflussen, könne noch nicht zuverlässig bewertet werden, heißt es in einer Stellungnahme, die vor wenigen Wochen veröffentlicht wurde. Eine weitere Erforschung der Infektionserreger sei dringend notwendig. Für das BfR arbeiten unabhängige Wissenschaftler, die mit ihren Ergebnissen der Bundesregierung beratend zur Seite stehen.
Zwar schließt das BfR nicht aus, dass die von zur Hausen vorgebrachte These stimmt, den Konsum von Kuhmilch empfiehlt das BfR aber vorerst uneingeschränkt. Das dürfte viele Menschen beruhigen, denn bis heute stehen Milchprodukte ganz oben auf dem Einkaufszettel der Deutschen: Im vergangenen Jahr lag der Pro-Kopf-Verbrauch von Frischmilcherzeugnissen laut vorläufigen Zahlen des Milchindustrie-Verbands bei gut 88 Kilogramm. Außerdem kaufte jeder von uns durchschnittlich 24 Kilo Käse und knapp 6 Kilo Butter.
Eine andere Theorie zum Zusammenhang von Milch und Krebsentwicklung vertritt der Hautarzt Bodo Melnik, der unter anderem als Professor an der Universität Osnabrück lehrt. Seine Forschung konzentriert sich auf die in Milch enthaltenen Mikro-Ribonukleinsäuren (miRNS). Melnik geht davon aus, dass diese Säuren beim Konsum von Milchprodukten wie ein Virus auf den menschlichen Körper übertragen werden – und hier Schaden anrichten, indem sie die Aktivität der Gene beeinflussen. Der wachstumsfördernde Effekt von miRNS könne die Entstehung von bösartigen Tumoren begünstigen. Und Melnik warnt: „Der Verbraucher ist derzeit der genmanipulierenden Wirkung der miRNA des Rindes schutzlos und unbewusst ausgeliefert.“
Diese Sichtweise ist in der Wissenschaft allerdings hoch umstritten. So geht das BfR bislang davon aus, „dass Auswirkungen von mit der Milch aufgenommenen miRNAs auf die menschliche Gesundheit als sehr unwahrscheinlich einzuschätzen sind.“ Das Bundesinstitut verweist unter anderem darauf, dass die Säuren im menschlichen Körper abgebaut werden können. „Die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse liefern keinen Grund, der Allgemeinbevölkerung vom Konsum von Milch und Milchprodukten in den empfohlenen und in Deutschland üblichen Verzehrmengen abzuraten“, teilte ein Sprecher mit.
Das Fazit
Die Thesen zu einer krebserregenden oder krebsfördernden Wirkung einzelner Milchbestandteile stehen noch auf mehr als unsicheren Beinen. Weitere Forschung ist nach Einschätzung aller Experten dringend notwendig, um die Datenlage zu verbessern und zuverlässige Ergebnisse zu erzielen.
Von Janne Kieselbach (dpa)