Lebensmittelallergien – Detektivarbeit in eigener Sache 

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Wenn Essen krank macht, geht die große Suche nach dem Übeltäter los. Hinter Atemnot, Jucken, Übelkeit oder Durchfällen können Lebensmittelallergien stecken. Diese Leiden nehmen zu – aber warum?

Es war zum Verzweifeln: Nur wenn die Frau im Restaurant essen ging, bekam sie dicke, juckende Stellen am ganzen Körper. Allergietests brachten nichts. “Und dann ging es irgendwann auch zu Hause los, dass sie gequaddelt hat”, erzählt Sonja Lämmel vom Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB) in Mönchengladbach. “Da war Detektivarbeit angesagt.”

Mit viel Nachforschen fand die Ernährungsfachkraft des Rätsels Lösung: Die Frau pflegte ihre Schwiegermutter und hatte deshalb weniger Zeit. Es kamen viele Fertigprodukte und Tütensuppen auf den Tisch. Eine gezielte Provokation in einer Fachklinik brachte den Beweis: pseudoallergische Reaktion auf Zusatzstoffe, Konservierungsmittel und Geschmacksverstärker. Und so erklärten sich auch die rätselhaften, juckenden Nesselausschläge nach dem Essen in Gaststätten. Solche Leidensgeschichten kommen oft vor, sagt Lämmel.

Tipps für Allergiker

Kennzeichnen: Sichere und unsichere Lebensmittel zu unterscheiden, ist vor allem in Familien mit betroffenen Kindern wichtig. Sichere Lebensmittel könnten Eltern zum Beispiel mit einem grünen Punkt versehen, nicht sichere mit einem einen roten – solche einfachen Markierungen sind auch für Kinder, Besucher oder Babysitter leicht zu verstehen. Das empfiehlt der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB).

Verarbeiten: Einige Allergene werden dem DAAB zufolge durch Erhitzen, Zerkleinern oder Säuern zerstört. Apfel-Allergiker sollten es mit Apfelkuchen oder -kompott statt mit einem rohen Apfel probieren. Nüsse, Sellerie oder Erdnüsse hingegen seien hitzestabil. Hier müssen Allergiker verzichten.

Ersetzen: Für Menschen mit Laktoseintoleranz gibt es spezielle laktosefreie Produkte. Allerdings enthalten diese auch einen kleinen Rest des Milchzuckers – ob man das verträgt, muss man austesten. Eine Alternative sind etwa Produkte aus Soja- oder Hafermilch. Zwar gibt es für Betroffene auch Laktase-Tabletten, die den Milchzucker spalten sollen. Allerdings ist die Dosierung nicht ganz einfach und muss individuell ausgetestet werden. Die Einnahme der Tabletten sollte die Ausnahme bleiben, rät die Zeitschrift “Naturarzt”.

Fehlende Produktinformationen

Allergien nehmen seit vielen Jahren zu. Nach Schätzung von Ärzten und DAAB haben etwa sechs Prozent aller Kinder und drei Prozent der Erwachsenen eine Nahrungsmittelallergie. Einen einzigen Grund für die Zunahme gebe es nicht, sagt Stephan Meller, Allergologe und Oberarzt in der Düsseldorfer Universitätsklinik. Faktoren seien unsere Umwelt, Ernährungs- und auch Vermeidungsgewohnheiten.

Seit 2008 erinnert der DAAB mit dem Lebensmittelallergietag (21.6.) an diese Krankheit, an der Hunderttausende leiden und für die es kein Heilmittel gibt. “Das einzig Wirksame ist, dass der Patient weiß, wogegen er allergisch reagiert und dieses Lebensmittel konsequent meidet”, sagt Sonja Lämmel. Allerdings: Dafür muss der allergieauslösende Stoff auf den Verpackungen der Lebensmittel und bei loser Ware im Restaurant oder in der Bäckerei klar erkennbar sein. Und das ist nicht immer der Fall.

Seit Mitte Dezember 2014 ist die Deklaration klarer geregelt: Seitdem stehen auf dem Etikett von Lebensmitteln die Hauptauslöser für Allergien und Unverträglichkeiten fett oder unterstrichen, wenn sie enthalten sind. Dazu gehören glutenhaltige Getreide, Milch, Eier, Fische, Nüsse, Soja, Sellerie oder Sulfite. Aber bei der losen Ware hakt es noch etwas: Die Wurst vom Metzger, die Körner-Brötchen vom Bäcker müssen zwar auch seit Ende 2014 gekennzeichnet werden, aber nicht jeder Betrieb setzt diese neue Regelung schon um. Die Kunden müssen häufig extra danach fragen. “Das ist eine Katastrophe für Allergiker”, sagt Andrea Wallrafen, die Geschäftsführerin des DAAB.

Mysteriöse Kreuzreaktionen

Allergische Reaktionen auf Nahrungsmittel können verwirrend verschieden sein. Sie reichen von Jucken, Rötung und Quaddeln auf der Haut, über Niesattacken und Schnupfen, Husten und Atemnot bis hin zu Durchfällen, Erbrechen oder Übelkeit. Die schwerste allergische Reaktion ist der anaphylaktische Schock in Form eines lebensbedrohlichen Kreislaufzusammenbruchs.

Je nach Lebensalter neigen Menschen zu anderen Lebensmittelallergien: Hauptauslöser bei Säuglingen sind Kuhmilch und Hühnerei. Bei Kindern kommen Nüsse, Fisch und Weizen hinzu. Jugendliche und Erwachsene reagieren häufiger auf rohe Gemüse- und Obstsorten, Gewürze und Nüsse. Diese Kreuzreaktionen treten in etwa 60 Prozent der Fälle mit einer gleichzeitig vorliegenden Pollenallergie auf.

Besonders mysteriös ist eine neue Form einer Weizen-Allergie, die vor allem in Kombination mit Anstrengung auftritt. Vor etwa drei Jahren sei das aufgekommen und dann häufiger geworden, berichtet Sonja Lämmel vom Deutschen Allergie- und Asthmabund. Dabei können Anstrengung, Alkohol oder bestimmte Arzneimittel als Trigger wirken. Betroffen seien vor allem junge Leute, hat Lämmel beobachtet.

Überzeugungsarbeit leisten

Stephan Meller, der Allergologe am Düsseldorfer Universitätsklinikum, begegnet solchen Fällen etwa einmal im Monat. “Jemand isst ein Brötchen und treibt dann Sport, das kann dann eine extreme Reaktion zur Folge haben.” Das Phänomen wird “WDEIA” (Wheat Dependent Exercise Induced Anaphylaxis) genannt: ein ernährungsabhängiger, durch Anstrengung herbeigeführter, allergischer Schock.

In solchen Fällen muss der Arzt seine Patienten oft erst von der ungewöhnlichen Allergie gegen Weizen überzeugen. “Nee, den hab ich ja gestern noch vertragen”, hört Meller dann. “Es ist ein Puzzlespiel.” Und gar nicht so selten.

Von Ulrike Hofsähs (dpa)